Aktuelles: Marokko-Rundfahrt (31.3.-16.4.2001)

 

31.3.2001:
Das Abenteuer Marokko hat begonnen! Morgens früh um 5 Uhr habe ich die erste S-Bahn genommen und mich zusammen mit Werner Wittmann, dem zweiten bayerischen Fahrer in unserer gemischten deutschen Equipe, auf den Weg zum Frankfurter Flughafen gemacht. Wir haben aus Kostengründen ein "Schönes-Wochenende"-Ticket für DM 40.- gelöst, damit darf man aber nur kleine Züge benutzen. Nach 8 Stunden und 5 Mal Umsteigen in dichtgedrängten Zügen waren wir mit unserem Gepäck (jeder einen Koffer und einen großen Radkarton) endlich am Flughafen, irgendwie schon deutlich erledigt. Der Flug nach Casablanca, sowie die Abholung durch die dortige Organisation der Rundfahrt und die erste Unterbringung verliefen problemfrei und nach einem guten Abendessen fielen wir wie die kleinen Kinder in unsere Betten.

 

1.4.2001: Ankunft in Marokko
Nach dem gestrigen Reisetag, der wie gesagt - bis auf die 8-stündige Zugfahrt nach Frankfurt - problemlos verlaufen ist, haben wir heute erst einmal alle Eingangsformalitäten abgewickelt, d.h. ich bin gerannt, die anderen Jungs, die alle kein Englisch oder Französisch sprechen, haben sich ausgeruht. Schließlich waren alle akkreditiert, wir hatten einen erfahrenen einheimischen Chauffeur und Betreuer mit Namen Doulabi und sogar einen Masseur, wir wussten nach der Mannschaftsleitersitzung (fast) alles und konnten schließlich gut 2 h trainieren gehen.

Wir waren in einem weitläufigen Sportschulgelände direkt am Meer zwischen Casablanca und Rabbat untergebracht, an der Küste war es ungemütlich und neblig, aber die Fahrt in das Landesinnere ließ uns schnell erahnen, wie heiß es in den kommenden Tagen noch werden würde! Zeitumstellungsprobleme gab es eigentlich keine, obwohl die Marokkaner um 2 h zurück sind mit ihrer Zeit.

Die Organisation hat sich wirklich als 1a entpuppt und bis zum Ende ist das auch so geblieben. Immer beste Hotels oder Ferienappartements, gutes Essen, Pünktlichkeit und der Informationsfluss klappte auch ganz gut. Darüber hinaus waren alle sehr bemüht, sehr freundlich und höflich, das macht vielleicht die französische Art aus, von der Marokko ja sehr geprägt ist.

 

2.4.2001: 1.Etappe, Rabbat - Meknes, 144km
Morgens gab es einen Bustransfer zur Hauptstadt, der etwas chaotisch verlief, da der extralange LKW für die Räder der Fahrer an diesem Tage defekt war. So wurden alle Räder irgendwie reingepfercht, sehr zum Leidwesen der einzelnen Lackbeschichtungen.

In Rabbat, der Hauptstadt Marokkos, war die Hölle los! Die reichlich vorhandene Polizei legte für unseren Autokonvoi den ganzen Verkehr lahm, später im Startbereich kannte die Begeisterung der Zuschauer, deren Zahl nicht abzuschätzen war, einfach keine Grenzen, sie wurden aber von den Ordnungskräften z.T. mit brachialen Methoden (Stockschläge) zu uns Fahrern abgegrenzt - und das war auch gut so, denn später haben wir das auch anders erlebt und da sind wir schier in Menschen ertrunken! Trachtengruppen tanzten, Musikkapellen spielten, alles auf einmal und ohrenbetäubend laut, so war das jeden Tag: am Start, im Ziel, in den Ortschaften, die wir durchfuhren und auf der tagtäglichen Siegerehrung - der Orient hatte uns fest im Griff!

Das Rennen begann recht nervös und flott, die Nordafrikaner, besonders die zwei marokkanischen Nationalmannschaften, machten gleich deutlich, das es hier in punkto Renommé für sie um alles ging. Die Besetzung war überhaupt sehr stark, besonders in der Breite der Spitze und das sollten wir in den nächsten Tagen leider sehr zu verspüren bekommen. GS II- (Amore&Vita, Selle Italia, Atlas Lukullus/Polen, St.Quentin/FRA) und GS III-Mannschaften (Ficonseilles/CH), sowie zahlreiche Nationalmannschaften und gute Elitemannschaften machten uns das Leben schwer (wahlweise: zur Hölle): Neuseeland, Südafrika, Holland, Slowakei, Russland, Türkei, Bulgarien, Dänemark, Marokko A und B, Tunesien und Algerien.

Die ersten 100km gingen auf einer Autobahn mit leichtem Gegenwind relativ problemlos voran, unser Marcel Bollmann ging gleich in einer Dreiergruppe mit und wurde unglücklich nach langer Flucht kurz vor dem Ziel gestellt. 40km vor dem Ziel gab es den ersten Berg und die ersten Aufsplitterungen, ich kam gut drüber und blieb dabei, später bei nun höllisch schneller Fahrt an der Windkante habe ich nicht gut aufgepasst, wie sich in der Reihe Löcher auftaten und plopp - hatte ich im Ziel als 75. drei Minuten an der Backe, denn in den hinteren Gruppen wird hier wie auf Kommando nicht mehr richtig gefahren, das wiederholte sich jeden Tag so. Es ist mir recht gut gerollt, aber die Unaufmerksamkeit hat mich doch geärgert.

Die Straßen hier in Marokko sind recht gut, zwar meist wegen der Hitze mit einem sehr rauhen Teer, doch ohne große Löcher, von daher also keine Gefahr wie in der Dominikanischen Republik. Nur die seitlichen Ränder sind oftmals keine Geraden, an der Windkante ein echtes Problem, wenn plötzlich der Teer aufhört, hier gab es mehrfach schwere Stürze.

 

3.4.2001: 2.Etappe, Souk El Arbaa - Tanger, 160km
Der Orient hat uns fest im Griff. Es beginnt schon beim allmorgendlichen Weckruf des Muezzins vom Minarett der Moscheen, der Aufruf zum Gebet an alle Gläubigen, was um 0430 Uhr morgens für Abendländer eine durchaus störende Angelegenheit darstellt. Ich als Ungläubiger mit meinem leichten Schlaf empfand das natürlich zunehmend als Lärmbelästigung, an Schlaf war danach für mich nicht mehr zu denken, mehr als Gedöse kam nicht mehr heraus.

Auch wenn die arabische Sprache etwas brutal für unsere Ohren klingt, sind diese Menschen doch meist ausgesucht höflich, uns Rennfahrern gegenüber direkt auch ehrfürchtig. Und eindeutig gibt es, besonders in den Städten, eine große Anzahl modern ausgerichteter, gebildeter Menschen, die sich dann auch durch perfektes Französisch und gute Umgangsformen auszeichnen, ich empfand das immer als sehr angenehm. Auf jeden Fall werde ich in Deutschland bei allen Rennen zusammen genommen dieses Jahr nie mehr so viele Zuschauer sehen und so viel Anfeuerung erfahren, wie in diesen 2 Wochen in Marokko!

Wieder gab es morgens einen Transfer mit dem Bus, diesmal klappte alles wie am Schnürchen. Die Etappe war wie jeden Tag sehr vom Wind beeinflusst, anfangs ging es recht langsam, sobald aber Seitenwind aufkam, konnte man sicher sein, daß eine Mannschaft angriff und das Feld auf die Kante nahm. Es war einer meiner besten Tage in dieser Rundfahrt, ich hatte gute Beine, war immer im Bilde und bei Windkantensituationen immer in der ersten Staffel (auch wenn man da recht hart mit dem spitzen Ellbogen arbeiten mußte!). Im Finale war dann das Feld total zerrissen, ich kam mit der großen Spitzengruppe an, mußte mir aber in diesem wackeligen und gefährlichen Massensprint eingestehen, daß ich immer noch als Sturzfolge (Dom.Rep.) sehr viel Angst und nicht ultimativ reingehalten habe. Unser Sprinter, Rene Obst (Dresden), hatte heute den Vogel abgeschossen und wurde phantastischer Dritter!

 

4.4.2001: 3.Etappe, Tanger - Tétouan, 140km
Jeden Abend gibt es in den örtlichen Rathäusern, meist prächtige, palastartige, in maurischem Stil erbaute Gebäude wie aus 1000 und einer Nacht mit Innenhöfen, Wasserspielen und Gärten, Mosaiken und Bogengängen, Empfänge durch die Bürgermeister oder Gouverneure und jede Stadt scheint die andere überbieten zu wollen. 

Musik, Buffets, Ansprachen, Geschenke, Siegerehrung und andere Aufmerksamkeiten streichelten zwar unser Ego, führten aber auch zur stark verspäteten Einnahme des Abendessens danach, so daß eigentlich jeder Renner mit einem mittelprächtigen Hungerast sich auf die angebotenen Kuchen und Kekse stürzte, sobald das Buffet freigegeben worden war. Da gab es dann einen Schlag und innerhalb von 2min hatten die Heuschrecken ihr Werk getan, sehr zum Erstaunen der Honoratioren, die sich zwar im Licht des Rennens sonnten, sich für die Begleiterscheinungen aber wohl nicht sonderlich interessierten. 

Da der Start üblicherweise um 11 Uhr erfolgte, gab es immer Frühstück und Mittagessen in einem. Nach dem Zieleinlauf ging es sofort per Rad in das Hotel, duschen, ausruhen und da lag man dann um 15 oder 16 Uhr und bis zum Abendessen um 20 Uhr war es noch weit. Es half nichts, jeden Morgen mußte man sich heuschreckenmäßig etwas auf Vorrat herrichten, irgendwelche Baguettes mit Belag o.ä. und das hieß, die Kellner nerven, die sich nur auf ihr knappes französisches Frühstück versteiften. Da gab es doch öfters Spannungen.

Heute war es ein sehr schwerer Tag! Nach 50km schon - es ging bis dahin mit Rückenwind flott am Atlantik entlang - gab es einen Schwenk landeinwärts, wellig bergauf, Seitenwind und sofort ist das Rennen explodiert. Die restlichen 90km bin ich nur Anschlag gefahren, mit letzter Kraft konnte ich mich hügelauf und hügelab an der Windkante im stetig kleiner werdenden Hauptfeld halten. Als es dann im Finale den Col de Fendek hinaufging, hat es mich voll verbraucht und erst nach einer wirklich schnellen Abfahrt mit viel Risiko habe ich wieder den Sprung von einem Trümmerhaufen in eine mittlere Fahrergruppe geschafft, die sich auch gut eingereiht hat und in der richtig gefahren wurde. Trotzdem habe ich als 72. heute 5.30min kassiert, es war echt sportlich heute und ich war platt. Michael Kieren, jeden Tag mühsam unterwegs, bekam schon eine gute halbe Stunde auf die Mütze, Harry Trumheller und Rene Obst waren in der großen Spitzengruppe und plaziert, feine Leistung!

 

5.4.2001: 4.Etappe, Ouazzane - Fès, 138km
Mit meinem Eindruck der halsbrecherischen Harakiri-Fahrweise besonders der nordafrikanischen Renner (und dort wiederum sind es die Marokkaner, die sich besonders hervortun) stehe ich nicht alleine da. Folgender Witz kursiert im Peloton der Nicht-Mohammedaner: Die wahren Gläubigen verrichten jeden Morgen auf ihrem Gebetsteppich vor dem Rennen ihr Gebet, steigen dann auf das Rad im Glauben, sie seien unsterblich, zumindest unverletzlich. Wenn ich mir dann aber die Stürze und die abgeschürfte Haut der Kameraden so betrachte, bin ich überzeugt, daß Gott hier nicht mit eingreifen will. Hoffentlich reißt mich keiner von denen mit zu Boden.

Überdies gab es an keinem Tag der Rundfahrt eine Dopingkontrolle und was unser Masseur, selbst marokkanischer Rennfahrer, so erzählt, gibt es Amphetamine und anderes frei in jeder Apotheke zu kaufen und wird auch reichlichst angewandt. Kein Wunder, daß die Brüder über Kreuz schauen und so teuflisch wackeln. Aber auch andere Rennfahrer sind alles andere als hasenrein, immer vor dem Finale ist sehr gut zu beobachten, wie sich etliche noch die finale Tablette verschämt und versteckt reinschieben. Scheußlich, darüber sprechen zu müssen; es wäre unehrlich, dies nicht zu erwähnen. Um aber die Dinge im richtigen Rahmen zu halten: diese Profis wären auch ohne Zeugs stark und an der Spitze oder umgekehrt: würde ich pfuschen, so würde ich dennoch nicht gewinnen.

Heute war es endlich richtig heiß und trocken, so wie ich es liebe! Die erste Stunde wurde vom Start weg gerast, dann beruhigte sich wieder alles etwas, denn den gestrigen Tag mit einem 45er-Streifen hatten alle in den Knochen. Erst im Finale auf den letzten 20km wurde es noch einmal schnell, aus dem Sprint des kompletten Feldes habe ich mich wieder herausgehalten und war froh, nicht wie andere gestürzt zu sein.

 

6.4.2001: 5.Etappe, Fès - Khénifra, 166km
Heute war die erste sog. Königsetappe mit einem Aufstieg von 1200Hm gleich nach 10km, dem Col d`Imouzzer. Vom Start weg ging eine Gruppe und es zog sich schon sehr sportlich und stark körnerverbrauchend immer mit 2-3% Steigung auf der Windkante bis zum Berg hin. Dort wurde dann richtig hineingespurtet und dann, ja dann war das Feld zerlegt (ich auch, denn ich habe erst einmal richtig abgeparkt). Ich habe dann versucht, meinen Rhythmus zu fahren und es hat sich schließlich eine große Gruppe gefunden, die mit gutem Zug den Pass, die Abfahrt und die vielen Wellen danach bewältigte und wir schafften den Wiederanschluß an die Spitze!

Zu diesem Zeitpunkt allerdings gab es hinten schon bedauerliche Einzelschicksale und auch unseren Werner Wittmann und Michael Kieren hat es erwischt, sie hat beide der Besenwagen aufgesammelt, sie hätten das Zeitlimit nie mehr geschafft, wie auch etliche andere nicht. Ich muß sagen, hätte ich nicht schon die Rennen und die Rundfahrt von der Dominikanischen in den Beinen gehabt, wer weiß wie ich explodiert wäre? Es war einfach jeden Tag höllisch!

Vorne gab es noch einmal ein großes Atemholen vor dem Finale, sehr zu meiner Freude, denn von dem gewaltigen Effort der Aufholjagd war ich dermaßen platt, daß mir schon fast schwindlig war. Alles Essen und Trinken in dieser ruhigen Phase half nichts, wieder ging es die letzten 40km auf die Windkante und es ging noch einmal bergauf! Was sich im Streckenplan als kleine Welle darstellte, war mit dem Wind zusammen ein wahrer Killer von Zieherberg, da half aller verzweifelter Kampf nicht mehr. Es bildete sich ein schönes Grupetto von zum Schluß 40 Fahrer, denn ein Verbrauchter nach dem anderen fiel in unsere Gruppe zurück. Im Ziel waren es 15min auf den Sieger und 5min auf das Hauptfeld, nach dieser Etappe war ich Gesamt-80..

Zitat des Tages: "Heute muß ich viel Möhren essen, damit ich das Feld besser sehen kann!" (Michael Kieren vor dem Rennen beim Verspeisen eines gemischten Salates.)

 

7.4.2001: 6.Etappe, Khénifra - Beni Mellal
Nach gestern war ich total erledigt. Jetzt ging es los: die anderen erschienen jeden Morgen frisch wie aus dem Ei gepellt zum Start, ich z.B. konnte mich kaum mehr die Treppen hochschleppen, war jeden Tag unvollständig regeneriert und froh, wenn ich wenigstens an 80% meines Leistungsvermögens herankam. Natürlich bin ich in meiner Karriere nie ein richtig guter Etappenfahrer gewesen, dazu bin ich zu groß, zu schwer und mit einem zu schlechten Regenerationsvermögen ausgestattet, was ja im Alter auch nicht unbedingt besser wird. Eher war ich immer der Typ eines Spezialisten für Eintagesrennen, der sich auf den Punkt vorbereiten konnte, z.B. auf eine bestimmte Zeitfahrmeisterschaft. Hier bei diesem Rennen war ich nicht nur der weitaus Älteste, sondern auch der Schwerste (hat nur auf der Abfahrt und manchmal auf der Windkante Vorteile).

Heute hatte sich kaum die Startflagge gesenkt, da kam schon wieder die erste Attacke und es ging gleich einen Zieherberg mit 52:18 dermaßen schnell hoch, das ich glaubte, den Löffel abgeben zu müssen! Mit letzter Kraft absolvierte ich etwa 10 höllenschnelle Kilometer, da kam - oh Wunder - auf einmal Ruhe in das Peloton, Rückenwind erlaubte keine Windkante und es ging noch dazu tendenziell immer abwärts. Wie tat das gut! Harry Trumheller und ein Marokkaner gingen nach 30km attackieren und wurden erst 1500m vor dem Ziel eingeholt, das war wirklich bitter. Die letzten 10km wurden im Finale noch einmal schnell gefahren, es kam zum Sprint des geschlossenen Feldes, wieder holte sich Rene wie fast jeden Tag eine Plazierung, er fuhr einfach ein tolles Rennen!

 

8.4.2001: 7.Etappe, Beni Mellal - Marrakech, 200km
Die letzte Etappe vor dem lang ersehnten Ruhetag und laut Streckenplan flach wie ein Bügelbrett, alles freute sich auf ein sanftes Dahinplätschern mit einem kurzen Finale. Und zuerst sah alles danach aus, Rückenwind, 70km ging es piano dahin. Dann auf einmal ein paar Wellen, das Feld zog sich in die Länge, die Straße machte einen Knick, Seitenwind war angesagt, wie meist reihten sich sofort die Polen ein. Es entwickelte sich eine Rückenkante bis zum Ziel vom feinsten, mit 60km/h raspelten wir dahin, daß die Erde bebte, es kam zu einigen Stürzen, einige in der Kette ließen reißen und schon war das Feld wieder zerfleddert. 

Das Feld war in drei Hauptgruppen und in den Trümmerhaufen zerteilt, drei große Staffeln mit je einer Beule hintendran bildeten sich und rasten dahin, wobei sich die Abstände dazwischen stetig vergrößerten. Wehe, wer nicht in einer Staffel war und wehe den hinteren, die einzeln umhergeigten, das konnte das Ende sein, auch wenn das Zeitlimit (immer bei 20% der Siegerzeit) heute ungefähr bei 56min lag, so ein Einzelzeitfahren bleibt in den Kleidern hängen und dann ist es eben ein oder zwei Tage später aus!

Ich war mit 50 Mann im dritten Feld und ließ mich 130km nicht aus der Staffel verdrängen, trotzdem war ich in Marrakech total ko. Ein schönes Feriengelände mit Ferienappartements sollte auch für morgen am Ruhetag unser angenehmes Domizil sein. Einem in unserer Mannschaft ging es noch viel schlechter als mir: Marcel Bollmann, der seit dem zweiten Tag von heftigsten Durchfällen geplagt war, fuhr in meiner Gruppe und weinte vor Erschöpfung und Schmerzen, aber wie jeden Tag ließ er nicht locker, auch wenn er zwischenzeitlich schon Vorletzter des Gesamtklassements war.

 

9.4.2001: Ruhetag in Marrakech
1,5 Stunden leichtes Training, dreimal gutes Essen, wie fast jeden Tag ein Besuch im Internetcafe, um den Kontakt nach Hause nicht abreißen zu lassen, viel ruhen: der Tag hätte so schön entspannend sein können.

Doch dann war ich auf einmal ab nachmittags in meiner Eigenschaft als sportlicher Leiter gefragt und war von da ab bis Mitternacht nur auf den Beinen, denn der Organisation fiel es plötzlich ein, daß unsere 2 ausgestiegenen Fahrer sofort nach Hause müßten. Jetzt ging es los: Wie kommen sie nach Casablanca, wie kommen sie an ihre Radkoffer, die auf einem der vielen LKWs lagerten, war das Ticket umbuchbar, wie viel Strafgebühr für die Umbuchung, Auszahlung des Reisegeldes für die Ausgestiegenen, und und und ..... Ich war reichlich gestresst und gut genervt, hatte überdies die beiden Nächte vorher kaum schlafen können und es wurde ein dritter "salto nullo". Dabei stand morgen die zweite Königsetappe an!

 

10.4.2001: 8.Etappe, Imintanout - Agadir, 146km
War es das Ende für mich heute? Am Morgen spürte ich deutlich, daß ich mich kaum erholt hatte. Zuerst stand ein Transfer über fast drei Stunden auf dem Programm. Am Startort inmitten einer Steinwüste herrschten 50°C und die übliche Begeisterung. Sofort nach dem Start ging es bergauf, die ersten Stufen des Berges war ich noch dabei, wenn auch voll am Anschlag. Ein Franzose bekam einen Sonnenstich und schlingerte von der Straße, stürzte schwer und blieb liegen (10 Stunden später war er schon in Paris). 

Als der Berg richtig losging, riss ich mit 6 Mann ab, kämpfte lange um den Anschluß an das Hauptfeld, fast alleine, denn um mich herum waren nur Halbtote, die dann alle das Rennen aufgaben, bis auf einen fußkranken Schweizer, dem absolut Letzten im Klassement, der mich kaum unterstützen konnte. 130km Paarzeitfahren gegen einen Sturm vom Ozean her und zum Schluß empfindlicher Kühle brachten 32min Rückstand auf den Sieger und die Erkenntnis, daß ich einen echten "jour sans" hatte. 

Morgen steht die schwerste Etappe der gesamten Rundfahrt mit drei Bergwertungen an, war das heute mein Todesurteil? Bei der ersten Windkante oder Welle parke ich wohl ab, dessen bin ich mir fast sicher! Wie "leicht" war doch gegen diese Marokko-Rundfahrt letztes Jahr die Argentinien-Rundfahrt, ich kann es einfach nicht fassen!

Morgen wird Marcel Bollmann nicht mehr antreten. Seine Durchfälle haben nicht mehr aufgehört und er ist dermaßen geschwächt nach der heutigen Etappe, daß jedes Weitermachen ihm sicher schaden würde, gegen jegliche Vernunft war sein Kampf ohnedies. Regelmäßig hat er die halbe Nacht auf der Toilette verbracht, daß er überhaupt so weit gekommen ist, verdient mehr als Respekt und spricht für seine Klasse!

 

11.4.2001: 9.Etappe, Agadir - Essaouira, 173km
Welch Wunder, ich bin noch drin (Boris wäre schon raus)! Gestern war ich doch sehr negativ eingestellt und habe keinen Pfifferling mehr auf mich gegeben. Das ich auf den Gesamt-85. abgerutscht bin, ist schon egal, in Casablanca ankommen, heißt die Devise.

Überraschenderweise hatte ich heute relativ gute Beine! Zuerst ging es etwa 70km am Atlantik entlang Richtung Norden, der Wind kam mehr von vorne-seitlich und dadurch kam es zu einem gemäßigten Tempo, d.h. Ekelkante, stecken, vorfahren, wieder durchgereicht werden, stecken, vorfahren ....... Inzwischen ist das Feld auch sehr überschaubar geworden, da muß man schon aufpassen, groß sacken lassen am Berg ist nicht, da ist man sofort abgerissen. 

Nach 70km kam der erste große lange Berg, nicht zu steil, so wie ich es mag. Lange blieb ich im Feld, obwohl schon viele abreißen lassen mußten, dann verlor ich den Kontakt, konnte mich aber zwischen den Autos halten und auf den Wellen hinter der Bergwertung mit voller Kraft wieder aufschließen, da kam richtig Hochgefühl auf! Bei der nächsten Bergwertung blieb ich sogar dabei (wie habe ich das gemacht?), der dritte Berg aber war im Finale, vorher wurde schon schärfstens Windkante gebolzt, am Berg gingen dann 40 Mann auf, die Grupetto nach Hause fuhren, mit 5min Rückstand. 

Ein 53.Tagesplatz und der Gesamt-82. stehen nun zu Buche. Eine Sache nervt total. Mit Fortdauer der Rundfahrt platzen immer mehr von denen auf, die ihre Leistung offensichtlich künstlich gesteigert haben, das konnte auch nicht lange gut gehen. Jeden Tag werden es z.B. mehr Marokkaner in den hinteren Reihen, eigentlich sind es schon fast alle, die da rumtaumeln. Sie tun nichts für das Tempo, drängen sich zwar in die Staffeln rein, lassen dann aber die Füße hängen und zerstören dadurch alles.

Auch einige schwächelnde Profis besuchen uns bereits da hinten (oder da in der Mitte, muß man richtigerweise sagen) und die kotzen natürlich bei einem solchen Gebaren richtig ab, besonders weil die Marokkaner in Zielnähe dann das Grupetto attackieren, es auf die Kante nehmen, gefährliche Sprints fahren, etc.. Heute gab es schon eine echte Schlägerei zwischen einem Amore&Vita-Mann und einem solchen Kameraden, aber wir Europäer lassen uns da nichts bieten und halten zusammen, machen eine zweite Staffel auf, lassen sie im Wind stehen, parken sie zu oder sprinten sie sogar spaßeshalber ab, obwohl Sprints um die goldene Ananas wirklich nervtötend sind, wenn man jedes wertvolle Korn sparen muß!

 

12.4.2001: 10.Etappe, Zeitfahren in Essaouira, 51km (!)
Gestern und heute waren wir in einem 5-Sterne-Palast untergebracht, ein tolles Wohnen und ich konnte endlich wieder einmal gut schlafen. Zum ersten Mal in meiner Karriere bin ich ein Einzelzeitfahren, eigentlich meine Disziplin, nicht voll gefahren, es wäre auch in Hinblick auf den Rest der Rundfahrt sehr töricht gewesen.

Unglaublich rauher Teer, stürmischer Wind, Hitze und ein ausgesprochen welliger Kurs forderten aber auch so sehr viel ab. Vom Start weg ging es 20km tendenziell bergauf, da habe ich es eher ruhig angehen lassen, dann habe ich aufgedreht, denn auch heute galt das 20%-Zeitlimit und das ist beim Zeitfahren sehr schnell erreicht. Ein 40.Platz mit 7.30min Rückstand war OK, auch wenn es meiner Rollerseele sehr geschmerzt hat. Mir fehlte aber auch neben der Kraft das Spezialmaterial, um wirklich vorne reinzufahren, die ersten Zeiten waren horrend!

Jeden Abend erinnerte uns unser Interimstrainer Doulabi daran, wo wir eigentlich sind. Nicht nur, daß er regelmäßig seine Gebete verrichtete, nach Dienst kleidete er sich mit Kaftan, Fes und den traditionellen Schnabelpantoffeln, es sah wirklich gut aus. Im Räderwaschen war er zwar nicht so gut und besonders pfleglich ging er mit dem Material (wie alle Marokkaner hier) nicht um, aber er kannte alle Etappen, hatte gute Tips, verpflegte uns gut und machte seine Arbeit ordentlich. Ohne ihn wären wir vollständig aufgeschmissen gewesen.

Unser Masseur Abd-el-Kadr war auch eine Marke für sich, ein etwas einfach strukturierter Neger, dabei grundehrlich, selber Radrennfahrer und mit einem Fundus von Standardaussagen ausgestattet, die er immer wieder brachte und die sich unauslöschlich in unsere Gehirne einbrannten: "La forme approche (die Form wird kommen - daran glaubte ich nicht mehr, im nächsten Leben vielleicht!), piano-piano, klicki-klicki, il est bien - il est bien (es ist gut, es ist gut), aujourdhui ca monte / il y a du vent (heute steigt es an / gibt es viel Wind - als ob wir das nicht selber wüssten, wenn schon nachts der Sturm um das Haus pfeift!), usw.". Auf jeden Fall war er ein guter Kumpel, der uns zwar nur unregelmäßig (und leider recht hart) massierte, da er auch gleichzeitig die Tunesier betreute, aber er war doch eine große Hilfe für uns.

 

13.4.2001: 11.Etappe, Essaouira - Safi, 150km
Wie sich die Bilder gleichen! Heute war es 100km recht ruhig (Gegenwind), dann ging es die letzten 50km auf die Kante, klicki-klicki (Abd-el-Kadr) und nach 5min Kampf war alles zerlegt, man war mit seinen vollkommen kraftlosen Beinen im 2. oder 3.Feld (Gott sei Dank nicht einzeln abgehängt!) und fuhr in diesem Grupetto möglichst in der Staffel nach Hause, ärgerte sich im Finale noch ein bißchen mit den Marokkanern herum. Heute waren es dann 6min Rückstand, der 61.Tagesrang und der 82.Gesamtrang, den ich gepachtet zu haben scheine.

Es wurde Zeit, daß dies alles sein Ende finden würde! Rene war schon wieder plaziert, wie macht er das?

 

14.4.2001: 12.Etappe, Safi - El Jadida, 160km
Was für ein Sturm! Es wird jeden Tag schlimmer und alle waren wohl froh, daß der Wind heute von vorne kam. Es kam nur ein Schnitt von 31,4 km/h (!) zustande und auch das Finale war eher kurz und arg eingebremst. Heute hatte ich meinen besten Moment der ganzen Rundfahrt, als ich - schon in der Stadt - bei 2000m ein Loch fand und mit Schwung attackieren konnte, bis 500m vor dem Lappen haben meine müden Stäbchen mitgemacht. Auf der Uferpromenade herrschte jedoch so ein Wind, daß ich den 12er einfach nicht mehr herumbrachte und überrollt wurde wie ein stehendes Hindernis. 75.Tagesrang, Gesamt-82., wie immer. Noch eine Etappe!

 

15.4.2001: 13.Etappe, El Jadida - Casablanca, 155km
Was für ein Finale! Die ersten 90km gab es einen Gegensturm wie gestern, wie auf Absprache hat jede (europäische) Mannschaft vorne ein paar Kilometer geführt, eine friedliche Sache. In Casablanca waren 7 Runden à 8km vorgesehen und mit Einfahrt in die Stadt war der Frieden vorbei, den 13er habe ich nicht mehr herausnehmen müssen, eher schwerer schalten. Es war ein einziger Jubelsturm, auf dem wir getragen wurden, die Leute standen dicht an dicht und mehrreihig hintereinander, die Zeitung am nächsten Tag sprach von 1 Million Zuschauer!

Musikgruppen an jeder Ecke, es wurde getanzt, gebrüllt, geschrieen, der Wind blies Staub, Zeitungen, Plastiktüten herum, es gab nur sechsspurige Straßen mit allerdings vielen Löchern und Scherben, es war Adrenalinausschüttung pur. Auch ein längerer dunkler Tunnel mußte durchfahren werden, das Gestecke dort war absolut nicht mein Fall und zu einem solchen wollte ich es erst recht nicht kommen lassen (Erinnerungen an die letzte Etappe in der Dominikanischen Republik kamen auf). 

So bin ich im Feld in das Ziel gerollt, danach wurden wir von den Menschenmassen schier erdrückt. Mit den Rädern flohen wir Richtung Hotel, zitternd und mit Gänsehaut ob dieser menschlichen Stampede. Rene und Harry hatten noch einmal voll reingehalten und wurden 5. und 7., ich werde mich am Preisgeldtopf nicht beteiligen, diese beiden haben wirklich toll gekämpft und ich konnte nichts beitragen im Verlaufe dieser Rundfahrt. Nach 1850km habe ich den 81.Platz belegt von ehemals 110 Startern, Rene wurde Gesamt-17.!

 

16.4.2001: Rückreise von Marokko
So gut die Organisation während der Rundfahrt war, mit deren Ende verkehrte sich schlagartig irgendwie alles in das Gegenteil. Es ging schon damit los, daß es gestern zum Abendessen bereits kein kostenloses Trinkwasser mehr gab. Auf unser Preis- und Reisegeld habe ich bis 2 Uhr nachts warten müssen, dabei gab es z.T. auch noch ein zähes Feilschen wie auf einem Basar, zum Wohle unserer Truppe konnte ich mich aber durchsetzen und fiel gegen 0230 Uhr völlig erschöpft ins Bett.

Viel Schlaf gab es nicht, denn schon um 0530 Uhr mußten wir aufstehen, packen und frühstücken, denn um 0630 Uhr sollte der Laster kommen, um uns mit den Italienern und den Franzosen zum Flughafen zu bringen. Niemand kam. Es herrschte starker Nebel und auf der Autobahn zum Flughafen hatte es eine Massenkarambolage gegeben, alles steckte fest. Kurzerhand wurden Taxis angemietet, unser Gepäck in einen Bus gepfercht und mit Höchsttempo ging es durch die Stadt, auf die Autobahn und mitten in den Stau! Obwohl die Brüder wussten, was da los war, sind die völlig stumpf mittenhinein gefahren! 

Wir sahen dann unseren Gepäckbus auf einem parallelen Feldweg am Stau vorbeiwackeln, zwischenzeitlich hatten die Einheimischen damit begonnen, die Leitplanken zu demontieren (fotographisch dokumentiert!), als es endlich zäh durch umgestürzte Wägen, Verletzte und Scherben weiterging. 20min vor Abflug waren wir endlich am Flughafen, der Flug war  natürlich bereits abgefertigt. Mit viel orientalischer Stimmgewalt warfen sich die Leute der Organisation auf die Verantwortlichen der Fluggesellschaft und nachdem wir alle um ein Jahr gealtert waren, saßen wir 4 deutschen Renner tatsächlich in der 1.Klasse im Flieger, bestens verwöhnt von einem Steward, der gestern voller Bewunderung ebenfalls an der Strecke in Casablanca gestanden hatte. 

Zufällig blickte ich aus dem Fenster und sah, wie ein unmotivierter marokkanischer Flughafenarbeiter meinen Radkarton mit dem Fuß von einem 2m hohen Leiterwagen auf den Boden kickte und wie er dann auf den flach liegenden Karton alle Koffer schmiss, Ecke voraus. Solche Marginalien können mich nicht mehr aufregen, zahlt alles die Gepäckversicherung der Royal Air Maroc! Auch die achtstündige Zugreise von Frankfurt nach Hause mit dem Bayernticket der Deutschen Bahn brachte mich nicht mehr in Wallung, denn um 0030 Uhr konnte ich endlich Martina in die Arme schließen und damit war für mich die marokkanische Geschichte aus 1000 und einer Nacht moderner Prägung glücklich beendet!

(Fotos)