Gastbeitrag von Helmut Digel (Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 11.02.2011)
Der Kampf gegen den Betrug ist geprägt von Vertuschung, Bereicherung und Eitelkeiten. Ein Neuanfang ist nötig. Die Geschichte des Dopingbetrugs und Antidopingkampfes ist eine Geschichte folgenloser Initiativen und gescheiterter Bemühungen. Sie ist eine Geschichte erfolgreicher Vertuschung und unerlaubter und unverschämter Bereicherung. Die Geschichte des Antidopingkampfes ist aber auch eine Geschichte der Eitelkeit - und damit jener, die die Öffentlichkeit suchen, ohne dass sie etwas Sinnvolles anzubieten haben. Die Geschichte des Antidopingkampfes wird nicht zuletzt geprägt von Massenmedien, für die das Dopingthema nur dann resonanzfähig ist, wenn es skandalträchtig ist. Ansonsten stehlen sie sich aus der Verantwortung.Der Antidopingkampf hat seine eigenen Medienstars hervorgebracht. Haben sich diese Stars einmal lauthals artikuliert, so sind sie als Antidopingexperten anerkannt, ganz gleich, welche Qualität ihre Expertise besitzt. Selbstverständlich werden sie dann auch in Anhörungen des Bundestags-Sportausschusses gehört und sind beliebte Interviewpartner für Presse, Rundfunk und Fernsehen. Auf diese Weise werden vor allem Laborexperten wie Wilhelm Schänzer und Mario Thevis zu kurzfristigen Medienstars, Sportmediziner wie Perikles Simon laden zu Presseterminen ein und glauben, Spektakuläres zu verkünden. Starbetrügern wie Alberto Contador, Katrin Krabbe oder Grit Breuer stehen Antidopingstars wie Werner Franke, Michael Lehner oder Armin Baumert gegenüber. Juristen sind dabei selbst ernannte Antidopingstars, um im nächsten Fall für viel Geld Dopingbetrüger zu beschützen. Der Antidopingkampf ist dabei ausgesprochen geschichtslos und geschichtsvergessen. Deshalb kann immer wieder Altes als Neues verkauft werden und für die Öffentlichkeit ist die Reproduktion von Innovationen so gut wie nicht zu unterscheiden. Der Antidopingkampf lebt von Ankündigungen, die nie erfüllt werden, von Vorhersagen, die nicht eintreten, von Versprechungen, die niemand halten kann. Da fordert der Mediziner mehr Geld für seine Genexperimente und begründet dies mit der naiven Annahme, dass dann der entscheidende Durchbruch im Antidopingkampf möglich sein könnte. Da wird der Ausbau des Kontrollsystems gefordert, wohlwissend, dass die bestehende Qualität weder weltweit anwendbar ist noch auf Dauer weltweit finanzierbar erscheint. Da werden Ausreden von Spitzenathleten akzeptiert, die angesichts des umfassenden Betruges mittels anaboler Steroide und anderer Substanzen nur als lächerlich bezeichnet werden können. Mehrere Sportarten beteuern gebetsmühlenhaft, dass in ihrer Sportart Doping keinen Sinn hat. Die aufgedeckten positiven Fälle in ihrer Sportart werden hingegen bagatellisiert oder unter den Tisch gekehrt. Da spricht der organisierte Sport von ungeheuren Eigenleistungen im Antidopingkampf, wobei die Hauptlast der Steuerzahler aufbringt. Da beteuern die Sponsoren, dass sie nur saubere Athleten als förderungswürdig erachten, im nächsten Atemzug werden jedoch von ihnen Weltrekorde gesponsert und fast nur noch Medaillensieger honoriert. Sportjournalisten bewundern einen Weltrekordathleten wie Usain Bolt, stellen dessen Leistung jedoch unter Verdacht und kritisieren deutsche Athleten als Sporttouristen, wenn sie mit durchaus beachtlichen Sprintleistungen im Zwischenlauf ausscheiden. Athleten und Athletinnen behaupten geradezu gebetsmühlenhaft, wie oft und umfassend sie im vergangenen Jahr kontrolliert wurden, obgleich die Kontrollstatistik das Gegenteil beweist. Die Beobachtungen zum angeblichen und tatsächlichen Antidopingkampf im internationalen Hochleistungssport könnten fortgeführt werden. Will man sie auf einen Nenner bringen, so ist zunächst die Verlogenheit offensichtlich, die diesen Kampf prägt. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Betrug sind in diesem Kampf verschwommen. Unmoral wird nicht selten mit Unmoral bekämpft. Moral dient allenfalls der Legitimation für das Weiter-so. Auf der Vorderbühne wird so getan als ob, auf der Hinterbühne findet das wirkliche Geschäft statt. Wer diese Beobachtungen wirklich auf einen Nenner bringen will, kommt zu der Erkenntnis, dass der Antidopingkampf im internationalen Hochleistungssport nahezu wirkungslos ist. Ein Neubeginn ist vonnöten. Sachlich, organisatorisch und personell müssen neue Strukturen geschaffen werden, will man das Fair-Play-Prinzip als Leitprinzip des Hochleistungssports erhalten. Alles muss dabei auf den Prüfstand gestellt werden: die Weltantidopingagentur Wada, die nationale Antidopingagentur Nada, der Sportgerichtshof Cas, die Regeln der internationalen Fachverbände, die Führungsstrukturen dieser Verbände, die Erziehungsprogramme, die Kontrollsysteme und all die übrigen Präventionsbemühungen, die sich bisher als wenig wirksam erwiesen haben. Auch von den Trittbrettfahrern, die den Antidopingkampf nur aus eigennützigen Motiven betreiben, ohne an wirklichem Erfolg interessiert zu sein, muss man sich verabschieden. Die Sportberichterstattung - und hier vor allem das Fernsehen - bedarf einer Selbstkontrolle, zu der auch nachvollziehbare Sanktionen gehören, und die soziale Verantwortung der Wirtschaft müsste für den Sport völlig neu definiert werden. Für einen Neuanfang ist es nie zu spät. Voraussetzung ist es aber, dass die Fehler eingesehen werden und man sich von jenen trennt, die zu dieser Einsicht nicht in der Lage sind. Gefordert sind deshalb die Entscheidungsgremien des Sports. Jene Gremien, in denen Repräsentanten des Sports über die Geschicke des Sports verfügen. Gefordert sind die Mitgliederversammlungen der Vereine, die Vorstände und Parlamente des Sports auf Landes- und Bundesebene. Gefordert sind die internationalen Sportorganisationen mit ihren Exekutiven und ihren Parlamenten. Nur wenn in all diesen Organisationen der Antidopingkampf das Topthema ist, kann erwartet werden, dass uns ein Neubeginn dieses Kampfes bevorsteht.
Helmut Digel war Präsident des Deutschen
Leichtathletik-Verbandes (1993 bis 2001), bis heute sitzt er im Council des
Weltverbandes IAAF. Er war Leiter des Sportinstituts der Universität
Tübingen, seit kurzem ist er emeritierter Professor. |