Angel Heredia, einstiger Drogenbeschaffer und
nun Kronzeuge der US-Justiz, über die Machtlosigkeit der Fahnder,
die Motive betrügender Sportler und die Mittel der Zukunft.
Zwei Jahre lang hatte er sich unter falschem
Namen in einem Hotel in Laredo, Texas, versteckt, dann fand ihn die
amerikanische Bundespolizei FBI doch. Ob er einen Trainer namens Trevor
Graham kenne, ob er den Spitznamen "Memo" trage, was er über Doping
wisse, das wollten die Agenten von Angel Heredia wissen. "Nein", "nein",
"nichts", das waren seine Antworten.
Aber dann legten die Agenten die Abschriften der
160 abgehörten Telefongespräche auf den Tisch, die E-Mails auch und die
Kontoauszüge und Angel "Memo" Heredia wusste, dass er verloren hatte. Er
entschied sich zur Mitarbeit und er wusste auch, er würde nur eine
Chance haben, wenn er nicht lügen würde, kein einziges Mal. "Er sagt die
Wahrheit", das sagt heute einer der Ermittler über Heredia.
Angel Heredia, 33, geboren in Mexiko City, war
Diskuswerfer, er ist der Sohn eines Chemieprofessors. Neun Jahre lang
versorgte er die Weltelite der Leichtathletik, jedenfalls die aus den
USA, Jamaika, den Bahamas und Mexiko, mit Drogen aller Art. Die Aussagen
des Kronzeugen Heredia überführten unter anderen Marion Jones, die
100-Meter-Olympiasiegerin von Sydney.
Mr. Heredia, werden Sie sich das 100-Meter-Finale
von Peking ansehen?
Natürlich. Aber einen sauberen Olympiasieger werden wir nicht erleben.
Nicht mal einen sauberen Teilnehmer.
Von acht Läufern ...
... werden acht gedopt sein.
Beweisen kann man das nicht.
Es ist ohne jeden Zweifel so. Der Unterschied zwischen 10,0 und 9,7
Sekunden sind die Drogen.
Können Drogen aus jedem Menschen einen
Weltrekordler machen?
Nein, das ist der Irrglaube: "Du wirfst heute
etwas ein und morgen fliegst du." Im wahren Leben musst du unfassbar
hart trainieren und sehr begabt sein und ein perfektes Team aus Trainern
und Betreuern haben. Und dann machen die besten Drogen den Unterschied
aus. Es ist alles eine große Komposition, eine Symphonie. Alles ist mit
allem verbunden, verstehen Sie und Drogen wirken dabei auf lange Sicht:
Sie sorgen dafür, dass du dich erholen kannst, dass du die katabolen
Phasen vermeiden kannst. Volleyball am Strand mag gesund sein -
Spitzensport ist nicht gesund. Du zerstörst deinen Körper. Marion Jones
zum Beispiel ...
... fünffache Medaillengewinnerin von Sydney 2000
...
... hat mit einer Härte trainiert, die ohnegleichen war. Drogen
schützten sie vor Verletzungen. Und dann hat sie triumphiert und die
Medaillen abgeräumt.
Stolz?
Ja, klar, immer noch. Es bleibt eine große Leistung und glauben Sie
bitte nicht, dass Marions Rivalinnen arme Betrogene waren.
Wir reden hier nicht über ein amerikanisches
Problem?
Bitte? Nein. Alle Länder, alle Verbände, alle Spitzensportler sind
betroffen und zu den Verantwortlichen zählen auch die großen
Schuhfirmen, Nike und Adidas. Ich kenne Athleten, die Rekorde gelaufen
sind und ein Jahr später verletzt waren und dann kam der Anruf: "Wir
stufen dich um 50 Prozent herunter." Was, glauben Sie, tun solche
Sportler?
Erklären Sie uns, was Sie für Ihre Klienten getan
haben.
Sportler hören Gerüchte und sind in Sorge. Dass die Konkurrenz andere
Tricks habe, dass sie erwischt werden könnten, wenn sie auf Reisen
gehen. Es gibt keinen Spielraum für Fehler, ein Fehler macht Karrieren
kaputt.
Also wurden Sie Therapeut der Sportler in
Drogendingen?
Eher ein Coach. Wir fanden gemeinsam heraus, was für welchen Körper gut
war und welche Abbauzeiten galten. Ich machte Pläne für Cocktails und
Kuren, je nach dem Geld, das der Athlet mir anbot. Straßendrogen für
wenig Geld, Designerzeug für ein paar zehntausend. Meistens habe ich die
Sachen verschickt, manchmal kamen die Sportler zu mir.
Bei Marion Jones ...
... ging es um die Erholungsphasen. Sie bestritt 2000 Wettkampf auf
Wettkampf, sie brauchte Entspannung. Sie bekam Epo, Wachstumshormon,
Adrenalin-Injektionen, Insulin. Insulin hilft nach dem Training,
zusammen mit Proteindrinks: Insulin transportiert Protein und Mineralien
schneller durch die Zellmembran.
Jones hatte Angst vor Spritzen.
Ja, darum mischten ihr damaliger Ehemann C.J. Hunter und der Trainer
Trevor Graham ihr drei Substanzen in eine Spritze. Ich riet ab, ich fand
es riskant.
Was für eine Beziehung hatten Sie zu Ihren
Athleten?
Eine geschäftliche. Es ging um Werte und Dosierungen, mit Marion sprach
ich selten. Das lief über die Trainer.
Gab es einen Doping-Rhythmus?
Ja, wenn die Saison endete, im Oktober, warteten wir ein paar Wochen,
damit der Körper sich reinigte. Dann, im November, luden wir
Wachstumshormon und Epo und zweimal pro Woche untersuchten wir den
Körper, damit wir sicher waren, dass sich keine Klumpen im Blut
bildeten. Die Testosteron-Shots kamen dazu. Dieses erste Programm
dauerte acht bis zehn Wochen, dann kam eine Pause.
Und dann wurden die Saisonziele festgesetzt?
Ja, das hing vom Athleten ab. Einige wollten im April eine gute Zeit
laufen, um Verträge für die Sportfeste zu bekommen, einige hatten nichts
als die Trials im Kopf, die amerikanische Qualifikation für
internationale Meisterschaften, andere nur Olympia. Dann haben wir den
Countdown auf das Ziel ausgerichtet und der nächste Zyklus begann. Ich
musste meine Athleten gut kennen und wissen, wo welcher Verband mit
welchen Methoden testete.
Woher weiß man so etwas?
Wachsamkeit. Informanten.
Sie waren selbst einst ein guter Diskuswerfer.
Sehr gut in Mexiko, sehr durchschnittlich im Weltmaßstab. Ich hatte
Fußball gespielt, geboxt, Karate gemacht und war dann zur Leichtathletik
gekommen. Mit 13, 14 Jahren glaubte ich an sauberen Sport, Doping war
ein Verbrechen für mich; ich habe meinen Vater damals gefragt, ob ich
Aspirin nehmen dürfte.
Warum fingen Sie an zu dopen?
Wie alle Sportler: weil andere dopen. Plötzlich warfen Jungs, die ich
gerade noch geschlagen hatte, zehn Meter weiter. Dann verletzte ich mich
und wollte mich trotzdem fürs Olympiateam qualifizieren. Doping wurde
für mich, was es für die meisten Athleten ist: Teil des Sports. Wenn du
heute zwölf Stunden trainierst und dein Trainer morgen wieder zwölf
Stunden von dir erwartet, dopst du, sonst geht es nicht.
Was nahmen Sie?
Wachstumshormon. Testosteron.
Und dann verpassten Sie die Olympischen Spiele
doch.
Ja, aber ich las alles, was ich über Medizin finden konnte, sprach mit
anderen Sportlern und bald hieß es: Angel kennt sich aus, Angel weiß,
wie man Tests umgeht. Die Ersten fragten um Rat. So begann es und
irgendwann fragte der Trainer Trevor Graham, ob ich ihm helfen könne.
Ich erklärte ihm Epo und war im Geschäft.
Was qualifizierte Sie für die Rolle des Dealers der
weltbesten Sportler?
Mein Vater ist Chemieprofessor, ich liebe Chemie. Und ich war Sportler.
Meine Rolle wurde eine Obsession, ich lernte zum Beispiel alles über
Testosteron: dass es eine Sorte Testosteron mit hoher Halbwertszeit gibt
und eine andere, die schnell wirkt, dass man es einreiben, schlucken,
spritzen kann. Das wurde ein Kitzel: Ich durfte mit den Besten der
Besten arbeiten und machte sie noch besser.
Und wie wurden Sie der Beste in Ihrer Welt?
Mit Genauigkeit. Ein Beispiel? Alle reden über Epo. Epo ist schick. Aber
Epo funktioniert ohne die Zufuhr von Eisen nur halb so gut, so etwas
muss man wissen. Es gibt Sauerstoffträger, die machen Epo rasant, die
sind in Wahrheit besser als Epo allein. Ich nenne mein Mittel "Epo
Boost", Epo-Vervielfacher, ich spritze es und es setzt damit viele
kleine Sauerstoffmoleküle im gesamten Körper frei. So verzehnfachst du
die Wirkung von Epo.
Haben Sie weitere Geheimnisse?
O ja, klar. Es gibt Tabletten für die Nieren, die die Metaboliten von
Steroiden abblocken: Wenn Athleten dann ihre Urinprobe abgeben, scheiden
sie die Metaboliten nicht mit aus und sind negativ. Oder es gibt ein
Enzym, welches langsam Proteine frisst - Epo hat Proteinstrukturen und
so sorgt das Enzym dafür, dass die B-Probe der Doping-Probe ganz andere
Werte hat als die A-Probe. Dann sind da noch Chemikalien, die du ein
paar Stunden vor dem Rennen zu dir nimmst und die verhindern die
Übersäuerung der Muskeln. Zusammen mit Epo? Ein reines Wunder! Ich habe
20 Drogen, die noch immer unauffindbar sind für die Fahnder.
Mit welchen Trainern haben Sie zusammengearbeitet?
Mit Trevor Graham vor allem.
Graham ist lebenslang gesperrt, er soll Marion
Jones, Tim Montgomery, Justin Gatlin und vielen mehr beim Betrug
geholfen haben. Mit wem noch?
Mit Winthrop Graham, seinem Cousin. Mit John Smith, dem Trainer von
Maurice Greene. Mit Raymond Stewart, dem Jamaikaner. Mit Dennis Mitchell
...
... der 1992 Gold über 4 mal 100 Meter gewann und
heute Trainer ist. Wie funktionierte die Zusammenarbeit?
Das ist ja eine kleine Welt. Es spricht sich herum, wer was wie schnell
und zu welchem Preis besorgen kann, wer diskret ist. Die Trainer
sprachen mich an und fragten, ob ich helfen könne und ich sagte Ja. Dann
bekam ich Geld, 15 000 Dollar oder so, es gab eine erste Lieferung und
so kamen wir ins Geschäft. Irgendwann führte es zu einer
One-on-one-Zusammenarbeit mit den Athleten.
Gab es so etwas wie ein Schema?
Ja. Ich habe immer mehrere Dinge kombiniert. Ich hatte zum Beispiel ein
Mittel namens Actovison, das die Durchblutung steigerte - nicht
nachweisbar. Das war vom Gesundheitsaspekt her gut und vom
Wettkampfaspekt her noch viel besser. Dazu kamen die Wachstumsfaktoren
IGF-1 und IGF-2. Und Epo. Epo erhöht die Zahl roter Blutkörperchen und
damit den Sauerstofftransport, das ist der Schlüssel für jeden Sportler:
Der Athlet will schnell regenerieren, die Belastung hochhalten, er will
konstant Leistungen bringen.
Noch mal: Konstante Leistung auf Weltniveau ist
ohne Doping undenkbar?
Ja. 44 Sekunden über 400 Meter? Undenkbar. 71 Meter mit dem Diskus? No
way. Es kann vorkommen, dass einer mit Rückenwind einmal 100 Meter in
9,8 Sekunden läuft. Aber zehnmal im Jahr unter 10, bei Regen oder Hitze?
Nur mit Doping.
Testosteron, Wachstumshormon, Epo, das war Ihre
Kombination?
Ja, mit individuellen Variationen. Und dann sind wunderbare Dinge
möglich. Jerome Young war 2002 auf Platz 38 der
400-Meter-Weltbestenliste, dann haben wir begonnen zusammenzuarbeiten
und 2003 gewann er fast alle großen Rennen.
Wie wurden Sie bezahlt?
Per Jahreshonorar. Bei großen Erfolgen gab's 40 000 Dollar Bonus.
Ihre Athleten haben 26 olympische Medaillen
gewonnen. Wie viel Geld haben Sie verdient?
Das kann ich nicht verraten wegen der Ermittlungen. Sagen wir so: 16 bis
18 erfolgreiche Sportler pro Jahr und 15 000 bis 20 000 Dollar pro
Sportler. Ich hatte einen guten Lauf, ich hatte ein gutes Leben.
Lebten Sie nicht im Schattenreich des Sports, wo
niemand Sie sehen durfte?
Nein, ich bin zwar selten zu den großen Veranstaltungen gefahren, das
hatte aber mit Eifersucht zu tun: Die Amerikaner wollten nicht, dass ich
mit den Jamaikanern arbeitete und umgekehrt. Aber Schatten? Nein. Das
war ja alles eine Kette, von Sportlern über Agenten zu Sponsoren und ich
war ein Teil davon, aber es wussten alle, wie das Spiel lief. Alle
wollten es so, weil alle damit reich wurden.
Welche Agenten meinen Sie?
Die großen Vermarkter, Robert Wagner zum Beispiel, die Athleten betreuen
und in Hochform bringen wollen, weil sie sie zu den Meetings vermitteln.
Der Österreicher Wagner, Gründer der Firma World
Athletics Management, schrieb am vergangenen Donnerstag in einer E-Mail
an den SPIEGEL, dass er "niemals Athleten gedopt" oder beim Dopen
"unterstützt und gefördert" habe.
Und Angel Heredia, der Kronzeuge, saß in einem
Büro in New York, ein sportlicher Mann im schwarzen Hemd, immer noch
durchtrainiert und schrieb Namen auf einen Zettel. 41 Leichtathleten,
sagte er, seien seine Kunden gewesen, dazu seien Boxer, Fußballer und
Skilangläufer gekommen. Seine Jamaikaner: Raymond Stewart, Beverly
McDonald, Brandon Simpson. Von den Bahamas: Chandra Sturrup. Ein paar
seiner Amerikaner: Jerome Young, Antonio Pettigrew, Tim Montgomery,
Duane Ross, Michelle Collins, Marion Jones, C.J. Hunter, Ramon Clay,
Dennis Mitchell, Joshua J. Johnson, Randall Evans, Justin Gatlin,
Maurice Greene. Einige der von Heredia Genannten sind überführt, manche
haben Doping gestanden, andere streiten es ab.
Maurice Greene? Der 100-Meter-Superstar Greene ist
einer der Vorzeige-Athleten der olympischen Bewegung; er schwört, sauber
zu sein.
Da läuft eine Ermittlung, aber wenn er behauptet, er sei clean gewesen,
kann ich nur antworten: Das ist eine Lüge.
Geht es konkreter?
Ich habe ihm geholfen. Ich habe einen Plan für ihn gemacht. Ich habe ihn
ausgestattet.
Ausgestattet?
Ja, 2003 und 2004 haben wir zusammengearbeitet.
Sie haben Belege?
Ja, zum Beispiel eine Überweisung über 10 000 Dollar.
Greene sagt, er habe das Geld für Freunde
ausgegeben.
Das weiß ich besser.
Was soll Greene, der Doping bestreitet, von Ihnen
bekommen haben?
IGF-1 und IGF-2, Epo und ATP, das steht für Adenosintriphosphat, es
verstärkt die Muskelkontraktion.
Unauffindbar für Kontrolleure?
Unauffindbar. Wir haben auch Cremes verwendet, die keine Spuren
hinterlassen und dem Sportler einen beständig höheren Testosteronspiegel
verschaffen.
Gedopt wird auf jedem sportlichen Niveau?
Heredia: Ja, da unterscheidet sich dann nur die Qualität des Dopings.
Die Armen nehmen die simplen Steroide und hoffen, dass sie nicht
kontrolliert werden. Wenn du zu den Stars gehörst, verdienst du 50 000
Dollar im Monat, dazu kommen Antrittsgelder und Schuhverträge. Bist du
oben, investierst du 100 000 Dollar und ich baue dir eine unauffindbare
Designerdroge.
Erklären Sie uns das.
Designerdrogen setzen sich aus mehreren Chemikalien zusammen, die die
gewünschte Reaktion herbeiführen und dann verändere ich am Ende der
Kette ein, zwei Moleküle so, dass die ganze Struktur den Rastern der
Fahnder entgleitet.
Die Jagd der Fahnder auf Sportler ...
... ist schon wieder Sport. Ein Wettlauf. Reines Adrenalin. Wir müssen
ein, zwei Jahre voraus sein. Wir müssen wissen, welches Medikament wo in
die Forschung kommt oder bei Tieren eingesetzt wird, wie wir es besorgen
können. Und wir müssen die Methoden der Tester kennen.
Können die Tester dieses Rennen noch gewinnen?
Theoretisch ja. Wenn sich alle Verbände und Sponsoren und Manager und
Sportler und Trainer einig sind und alles Geld, das der Sport einbringt,
einsetzen und wenn jeder Sportler zweimal pro Woche kontrolliert wird -
nur dann. Was jetzt passiert, ist lächerlich. Alibi. Das Geld sollte man
sparen - gebt es mir und ich verteile es unter den Waisenkindern
Mexikos! Solange es kommerziellen Sport gibt, die Schuhverträge, die an
Leistung gekoppelt sind und die Fernsehverträge, so lange wird gedopt.
Die Idee, dass Sport der faire Wettkampf innerhalb
festgelegter Regeln sei, ist in Wahrheit längst tot?
Ja, klar. Es sei denn, wir kehren zum antiken Sport ohne Geld zurück.
Ohne Fernsehen, ohne Adidas und Nike. Es ist doch klar: Wer Achter wird,
bekommt bei den großen Sportfesten 5000 Dollar und wer Erster wird,
kriegt 100 000. Darüber denkt der Sportler nach und dann denkt er, dass
alle anderen sowieso dopen und damit hat er recht. Und Sie träumen
davon, dass ein Sportler an Moral und Ideen glaubt? Saubere
Höchstleistungen sind ein Märchen, mein Freund.
Wollen Sie eigentlich für die Freigabe des Dopings
plädieren?
Nein, aber ich glaube, wir sollten Epo, die IGF und Testosteron
freigeben, außerdem Adrenalin und Epitestosteron, jene Stoffe also, die
der Körper auch selbst produziert - schon aus pragmatischen Gründen,
weil nämlich die Verfolgung unmöglich ist, aber auch wegen der Fairness.
Das ist Ihr Ernst: Fairness?
Ja, nehmen wir die populärste Droge: Epo. Epo verändert den
Hämoglobinwert und die Menschen haben nun einmal unterschiedliche
Hämoglobinspiegel. Die Freigabe würde also jene Gerechtigkeit und
Gleichheit ermöglichen, die angeblich alle wollen. Es gibt nun mal
genetische Unterschiede zwischen Athleten.
Dass Lebewesen sich unterscheiden, nennt man Natur.
Sie wollen durch Doping alle Athleten gleichmachen?
Normale Athleten haben einen Level von 3 Nanogramm Testosteron pro
Milliliter Blut; der Sprinter Tim Montgomery hat 3 Nanogramm, Maurice
Greene aber hat 9 Nanogramm. Was kann Tim tun? Nicht Doping mit
körpereigenen Stoffen ist ungerecht, die Natur ist ungerecht.
Und verbieten würden Sie was?
Alles andere, alles, was gefährlich sein kann. Amphetamine? Verbieten.
Steroide? Verbieten.
Gibt es noch saubere Sportarten?
Leichtathletik, Schwimmen, Skilanglauf, Radsport sind nicht zu retten.
Golf? Auch nicht sauber. Fußball? Fußballer kommen zu mir und sagen, sie
müssen die Linie rauf- und runterrennen, ohne zu ermüden und alle drei
Tage spielen. Basketballer nehmen Fettverbrenner, Amphetamine, Ephedrin.
Baseball? Haha. Steroide in der Vorbereitung, Amphetamine im Spiel.
Selbst Bogenschützen nehmen sogenannte Downer, damit ihr Arm ruhig wird.
Alle dopen.
Haben Sie eigentlich selbst Mittel hergestellt oder
haben Sie sie nur besorgt?
Ich hatte kein eigenes Labor, aber ich hatte, na ja, Zugriff auf Labors
in Mexiko City. Ich habe das Rohmaterial eingekauft und liefern lassen
...
... von wo?
Überall. Australien, Südafrika, Österreich, Bulgarien, China.
Wachstumshormon kam von der Schweizer Firma Serono. Die Einfuhr nach
Mexiko war nie schwierig, die Gesetze sind da nicht so streng. Man kann
ganz gut in Apotheken einkaufen bei uns. Wenn irgendwo ein neues
Medikament in die Testphase kam, wussten wir davon und bestellten es.
Dann habe ich Stoffe kombiniert. Und hin und wieder habe ich eine Creme
hergestellt.
Haben Sie die Kontrolleure eigentlich jemals ernst
genommen?
Nein, wir haben sie ausgelacht. Heute lachen natürlich die Fahnder.
Der Trainer Graham verriet seinen Rivalen Victor
Conte, so begann der Fall, der weltberühmt wurde unter dem Namen von
Contes Labor "Balco" (Bay Area Laboratory Co-Operative). Die Fahnder
Jeff Novitzky und Erwin Rogers rollten die Geschichte auf, sie
profitierten vom Misstrauen der Sportwelt: Alle schwärzten alle an,
keiner traute keinem. Victor Conte wurde verurteilt zu vier Monaten
Gefängnis. Marion Jones kam nicht wegen Dopings ins Gefängnis, sondern
weil sie die Ermittler belogen hatte. Zuletzt musste die amerikanische
4x400-Meter-Staffel, die in Sydney Gold gewonnen hatte, ihre Medaillen
zurückgeben. Trevor Graham stand in San Francisco vor Gericht, die
Anklage beruhte auf Angel Heredias Aussagen. Graham wurde wegen Meineids
für schuldig befunden. Das Urteil steht aus.
Wovon leben Sie heute?
Ein bisschen Geld ist noch da. Ich studiere wieder, ich möchte
Apotheker werden. Das ist mein Traum. Aber ich weiß ja nicht, ob ich
Arbeit finde, ob ich angeklagt werde, ob ich ausgewiesen werde, wohin
ich gehe. Ich habe kein Leben mehr. Ich laufe durch die Gegend und achte
darauf, dass mir niemand folgt. Aber verglichen mit Jerome Young geht es
mir gut.
Was macht der Weltmeister von 2003 heute?
Er ist 31 Jahre alt und sitzt in einem Lastwagen und fährt Brot aus. Es
heißt, er habe die Gesetze des Sports gebrochen, aber das stimmt ja
nicht: Jerome hat genau diese Gesetze befolgt.
Mr. Heredia, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.