Der Radrennfahrer Jörg Jaksche ist außer Jan Ullrich der zweite deutsche Fahrer auf der Kundenliste des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes. Ein Jahr lang hat er dies dementiert. Nun stellt er sich im bislang größten Doping-Skandal des Profisports als Kronzeuge zur Verfügung - und erzählt die Geschichte seiner gedopten Karriere. Sein Handy und eine schwarze Plastiktüte, das ist alles, was er mitgebracht hat ins Hotel Universo an der Piazza del Giglio von Lucca. Er trägt ein weißes Hemd, Jeans, Turnschuhe und sieht aus wie ein Student, der von einer Vorlesung kommt. Es ist Freitag, der 15. Juni, in drei Wochen beginnt die Tour de France. Jörg Jaksche wird nicht mitfahren dürfen. Am Morgen hat er trotzdem trainiert, zwei Stunden lang in den Hügeln der Toskana. Normalerweise fährt er jeden Tag sechs Stunden, weil er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, irgendwann wieder richtig Rennen zu fahren. Aber heute ist kein normaler Tag. Jaksche fragt, ob es Neuigkeiten gebe, neue Gerüchte, irgendetwas, was er wissen müsse. Er spricht leise und zögerlich, er spricht wie jemand, der sich seiner Sache nicht ganz sicher ist. In der schwarzen Plastiktüte steckt ein Aktenordner, in dem er den Ermittlungsbericht der Guardia Civil über den spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes abgeheftet hat, den Schriftverkehr mit seinen Anwälten, ein paar Notizen. In der schwarzen Plastiktüte trägt er das ganze Desaster seiner Karriere als Radrennfahrer mit sich herum. Jaksche war ein Kunde von Fuentes, dessen Doping-Labor vor einem Jahr von der spanischen Polizei ausgehoben wurde. Die Operación Puerto der spanischen Ermittler hat den größten Skandal in der Geschichte des Radsports ausgelöst. Fahrer wie Jan Ullrich und Ivan Basso sollen Kunden von Fuentes gewesen sein und weitere 50, vielleicht sogar noch viele mehr. Doch die Ermittlungen wurden vor knapp vier Monaten eingestellt, weil es keine rechtliche Grundlage für Anklagen gibt. Die beteiligten Fahrer und Teamleiter schweigen oder streiten ab, ein paar Teams haben seitdem den Neuanfang ohne Doping verkündet, die meisten anderen hoffen, dass der Sturm bald vorüber ist und alles weitergeht wie bisher. In den Akten der spanischen Polizei taucht Jaksche unter dem Codenamen "Bella" auf. Bella, so hieß Jaksches schwarze Labradorhündin. Er hat sie vor drei Jahren einschläfern lassen, sie wurde 16 Jahre alt, und als Doktor Merino Batres, ein Hämatologe aus Madrid und Helfer Fuentes', von ihm wissen wollte, ob er als Codenamen für die Blutbeutel den Namen des Hundes nehmen könne, antwortete Jaksche: "Ja, Bella." Er ist ins Hotel Universo gekommen, die schwarze Plastiktüte in der Hand, weil er sich entschieden hat, die Wahrheit zu erzählen. Er ist der erste Fahrer von der Fuentes-Liste, der öffentlich das Schweigen bricht. Er ist jetzt ein Kronzeuge. "Ich bin Bella", sagt Jaksche. "Es ist mein Blut, das dort in drei Beuteln gefunden wurde. Ich bin auch tatsächlich die 'Nr. 20' aus den Akten, und ich war 2005 und 2006 Kunde von Doktor Fuentes in Madrid." Jaksche erzählt aus dem Leben eines Radsportprofis. Über die logistische Meisterleistung, mit der Fuentes Dutzende Fahrer mit frischem Blut versorgte. Über das Epo, das ihm Ärzte gaben. Über die Kortikoide, über die er sich mit Bjarne Riis austauschte. Über das, was passiert, wenn man versucht, eine Tour de France ohne Epo zu fahren. Über die Teamleiter, die er als Profi erlebte und die das Doping in ihren Rennställen systematisch und umfassend förderten und jetzt immer noch bei der Tour de France, die am Samstag in London beginnt, in den Begleitautos sitzen. Jörg Jaksche ist ein Kronzeuge, weil die Omertà, das Gesetz des Schweigens, nicht mehr funktioniert. Die Omertà hat funktioniert, weil alle, Teamleiter, Ärzte, Fahrer, Masseure, Mechaniker, von den Sünden der anderen wussten. Jeder war erpressbar, jeder schwieg. Nun schreibt Jaksche die Geschichte, die der belgische Masseur Jef D'hont und die ehemaligen Telekom-Fahrer Bert Dietz, Rolf Aldag und Erik Zabel für die neunziger Jahre erzählten, bis in die Gegenwart fort. Jörg Jaksche, 1,85 Meter groß, 70 Kilo leicht, das Gesicht mit scharfen Kanten und einem ausgeprägten Kinn, ist jetzt 30 Jahre alt. Seit zehn Jahren fährt er als Profi für die großen Teams und gehört zu den besten 20 Fahrern im Feld. Er ist jetzt bei einem zweitklassigen italienisch-russischen Team unter Vertrag, das erst gar nicht zur Tour eingeladen wird. Dreißig, das ist das Alter, in dem andere die Tour de France gewinnen. Das Alter, in dem ein guter Fahrer sehr gutes Geld verdienen kann. Dreißig, das ist auch das Alter, in dem man sich keine langen Pausen mehr erlauben darf. Jaksche macht sich zum Kronzeugen, auch weil er bei den großen Rennen nicht mehr fahren darf. Er will sich den Radsportverbänden zur Verfügung stellen und der Welt-Anti-Doping-Agentur, und er wird sich auch von deutschen Staatsanwälten befragen lassen, weil er nicht zwei Jahre oder länger gesperrt, sondern schon im nächsten Jahr wieder dabei sein will. Er findet, dass die Fahrer, Ullrich, Basso und die anderen, die in den spanischen Akten auftauchen, nun die Sündenböcke seien, während der Rest immer noch fährt und wohl auch noch dopt. Und es ärgert ihn, dass die Teamleiter heute so tun, als wären sie ganz vorn im Kampf gegen das Doping. Was er nicht abschätzen kann, sind die Konsequenzen, die sein Geständnis haben wird. Er will kein Totengräber des Radsports sein, der 200 Kollegen arbeitslos macht. Er fürchtet die juristischen Folgen, den Ruf des Verräters, die Scham, alle belogen zu haben, die Eltern, die Freunde, die Öffentlichkeit. Deswegen ist Jaksche an diesem Freitag in Lucca auch ein Kronzeuge, der wackelt. Sein Vater ist Augenarzt, sein Großvater war es auch, er wäre es ebenfalls geworden, wenn nicht der Radsport dazwischen gekommen wäre. Jörg Jaksche ist ein guter Zeuge, er ist eloquent, er kann Strukturen beschreiben. Er ist der Gefangene eines Systems, der nun den Ausbruch wagt. SPIEGEL: Herr Jaksche, Sie haben Ihre Karriere als Profi vor zehn Jahren bei dem italienischen Team Polti begonnen. Teamleiter war Gianluigi Stanga, der schon seit 1983 Radrennställe führt. Heute ist Stanga Chef des Milram-Rennstalls, bei dem auch Erik Zabel fährt. Wann kamen Sie dort das erste Mal mit Doping in Berührung? Jaksche: Bei der Etappenfahrt Paris-Nizza 1997, meinem ersten großen Rennen. Es lief ganz gut, auf einer Etappe hatte ich den Mont Ventoux in der Spitzengruppe überquert. Ich erinnere mich, weil es wirklich ein entscheidender Tag für mich war. Im Ziel kam Stanga auf mich zu und fragte: Was hast du genommen? Ich verstand nicht und fragte zurück: Was soll ich genommen haben? Wahrscheinlich dachte er, ich will mich über ihn lustig machen. Am Abend besuchte er mich auf dem Hotelzimmer, das ich mit Dirk Baldinger teilte. Stanga nahm mir Blut ab und maß meinen Hämatokritwert, um herauszufinden, ob ich Epo genommen hatte. Ich hatte einen 41er Wert, relativ niedrig. Ich schaute Baldinger an: Was macht der da? Was bedeutet das? Ist das gut oder schlecht? Stanga sagte nur: Dem Jaksche gebe ich einen Fünfjahresvertrag. Ich war wohl naiv. SPIEGEL: Sie waren als Amateur Juniorenmeister im Straßenvierer und mit dem Nationalteam Vizeweltmeister der Junioren. Da gab es kein Doping? Jaksche: Ich habe in meiner Zeit als Junior und als Amateur nie gedopt. Natürlich war es damals so, dass wir uns bei Rennen in Italien manchmal ganz schön wunderten. Da fährt man mit der kompletten Amateurnationalmannschaft, belegt am Ende Platz 160 bis 170 und fragt sich: Wie können normale Menschen so schnell fahren? Koffeintabletten oder ein paar Schlucke Cola mit Sekt gemischt, ein Aufputscher für die letzten Kilometer bis zum Ziel, oder eine Aspirin, das war bei mir alles. Nichts, was damals auf der Doping-Liste stand. Aber man gewöhnt sich daran, etwas zu schlucken, damit es dir morgen besser geht. Man geht ins Höhentrainingslager nach Mexiko und bekommt die Zusammenhänge erklärt. Dass man in der Höhe trainiert, damit sich die roten Blutkörperchen vermehren, die den Sauerstoff transportieren. Und irgendwann kriegst du mit: Den gleichen Effekt kann man auch mit Medikamenten erzielen. So sammelt sich im Laufe der Jahre ein Mosaik medizinischen Wissens an. Jaksche war 20 Jahre alt und verdiente bei Polti 40.000 Mark im Jahr. 1997 gewann Jan Ullrich die Tour de France, es war ein triumphales Jahr für den deutschen Radsport. Auf Epo hin wurde noch nicht direkt kontrolliert, von Doping war damals kaum die Rede. Im Januar 1997 traf sich das Team Polti an der Ligurischen Küste zum Trainingslager. SPIEGEL: Konnten Sie mithalten? Jaksche: Ich war gut in Form, ich kam locker die Berge hoch. Nach dem Training sagte ein Teamarzt von Polti, ich solle Vitamin B12, Folsäure und Eisen zu mir nehmen. Kein Problem, antwortete ich, das kaufe ich mir daheim. Nein, hieß es, das geben wir dir, und wenn du zu Hause bist, musst du dir die Spritzen selber setzen. So geht das los, das Fixertum, es ist ein fließender Übergang. SPIEGEL: Wann wurde Ihnen das erste Mal Epo gespritzt? Jaksche: Kurz vor der Tour de Suisse im Juni 1997. Wir waren in einem Hotel am Bodensee. Stanga sagte, er wolle jetzt anfangen mit der Behandlung. Er wollte herausfinden, was bei mir wirkt. Was er meinte war: Wir bringen dir jetzt bei, wie der Radsport funktioniert. Es war mein Crashkurs. Ein Betreuer spritzte mir abends auf meinem Zimmer Epo. An die Menge der Einheiten kann ich mich nicht erinnern, aber ich wusste inzwischen, dass Epo das Blut verdickt, wenn die Dosis zu hoch ist. Im Bett dachte ich dann: Hoffentlich bleibt heute Nacht mein Herz nicht stehen! In den nächsten Tagen bekam ich auch Medrol-Tabletten, die enthalten ein Hormon aus der Nebennierenrinde und wirken entzündungshemmend. Und auch Synacthen wurde ausprobiert, das fördert die körpereigene Produktion von Kortikoiden, es wirkt sehr schnell, man kann es gut für ein Tagesrennen nehmen oder bei wichtigen Etappen. Man fühlt sich zwar am Anfang des Rennens schlecht, etwas aufgequollen, als ob man zu viel Wasser getrunken hätte, aber nach 80 Kilometern macht es plötzlich klick. Das Problem war, dass ich überall am Oberkörper und auf den Armen kleine Pusteln bekam. Nach der Tour de Suisse ließ ich mich erst in Nürnberg behandeln; die Ärzte dort rätselten über die Ursache, ich konnte ihnen ja nicht sagen, was ich alles genommen hatte. Ich habe mich schließlich in Italien behandeln lassen, ich bekam wochenlang Antibiotika und war geschwächt. Im Scherz sagte Stanga: Na, hoffentlich bist du nicht allergisch auf Epo. Die Tour de France konnte Jaksche in seinem ersten Profijahr nicht fahren, weil er durch die Behandlung mit den Antibiotika entkräftet war. 1997, das war die Tour, die Jan Ullrich gewann und ihn zum Helden machte. Mehr als zwölf Millionen Zuschauer sahen ihn im deutschen Fernsehen. SPIEGEL: Haben Sie sich in Ihrer Anfangszeit nicht gefragt: Was ist denn hier los bei den Profis? Jaksche: Ich wollte aufhören, ich fühlte mich unwohl. Die Spritzerei war mir einfach zu asozial. Aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Irgendwann kamen die ersten kleinen Erfolge, du wirst professioneller und siehst vieles nicht mehr. Es ist genau so, wie es Bjarne Riis bei seinem Geständnis gesagt hat: Die Medizin gehört zu deinem Alltag. SPIEGEL: Sie haben weitergemacht. Jaksche: Stanga hatte meinen Vertrag verbessert. 1998, in meinem zweiten Jahr, verdiente ich schon 80.000 Mark. Er sagte: Du musst dieses Jahr die Entdeckung der Tour werden. Und wenn du unter die ersten 20 fährst, musst du nichts für die Medizin bezahlen. SPIEGEL: Stanga war es, der die Medikamente besorgte? Jaksche: Wer das jetzt besorgt hat, weiß ich nicht. Ich jedenfalls nicht. Wo hätte ich mir das Zeug auch besorgen sollen? In Ansbach in der Apotheke? Mein Saisonplan war ganz auf den Juli ausgerichtet, auf die Tour de France. Zwei Wochen vor der Tour de Suisse habe ich mit der Epo-Kur begonnen. Jeden zweiten Tag 1000 bis 2000 Einheiten. Skrupel gab es keine mehr. Man bekommt ja beigebracht, dass es so schlimm ja nicht ist. Das, was ich machen musste, damit ich meinen Beruf besser erfüllen konnte, das habe ich gemacht. Die Logik ist: Du passt dein Leistungsniveau dem Rest an, weil jeder es tut. Im Radsport lebst du in einer Parallelwelt. SPIEGEL: Hatten Sie keine Angst, Ihre Gesundheit zu ruinieren? Jaksche: Auch wenn das jetzt nach Selbstbeweihräucherung klingt: Ja, ich habe gedopt, aber ich habe es nicht übertrieben. Ich habe nie künstliches Hämoglobin oder so was genommen, wo du einen allergischen Schock erleiden kannst. Und du beruhigst dich damit, dass ein Bodybuilder 16.000 Einheiten Wachstumshormon am Tag nimmt und man selbst eine Weile 800 Einheiten zur Regeneration. Dann denkst du: Na ja, so viel ist es jetzt auch nicht. Drei Tage vor dem Start der Tour de France 1998 in Dublin wurde ein Masseur der Festina-Mannschaft an der französisch-belgischen Grenze gestoppt. Sein Auto war voll mit Epo-Ampullen und anderen Präparaten. Die Nachricht erreichte schnell Dublin, wo sich die Teams auf den Start der Tour vorbereiteten. Jaksche: Zuerst habe ich gedacht: Worüber regen die sich auf, jeder hat's doch dabei, ist doch ganz normal? Was sollte daran schlimm sein? Doping hat niemandem gefallen, weder einem Stanga noch einem Riis, aber in der Welt, in der wir leben, herrschte dafür kein Unrechtsbewusstsein. Aber die Situation war unangenehm, und natürlich gab es dann, als die Tour in Frankreich weitergefahren wurde, Angst vor der Polizei und dem Anti-Doping-Gesetz dort. Ich fragte Jens Voigt, der damals für die französische Gan-Mannschaft fuhr, was sein Team denn nun mache. Voigt sagte: Einer hat bei uns vorgeschlagen, alles entlang der Strecke zu vergraben und nach der Tour abzuholen. Wie die Kleinganoven haben wir uns damals verhalten. Bei uns im Team hatte jemand die Idee, das Epo in einem Staubsauger mit doppeltem Boden zu verstecken, den wir in unserem Bus während der Tour mit uns herumfuhren. Polti, unser Sponsor, produziert ja Haushaltsgeräte. In den Polti-Staubsauger passten die 10 000er Ampullen samt Kühlakkus rein. Ich kam abends nach den Etappen in den Bus und habe mich gespritzt. Während der Tour waren das jeden zweiten Tag 2000 Einheiten, zusätzlich Wachstumshormon, um besser zu regenerieren, und Insulin, damit sich der Kohlehydratspeicher schneller auffüllt. Aber nach zehn, zwölf Tagen war Schluss, das Risiko war zu hoch.
Chaos brach aus, das Festina-Team wurde ausgeschlossen,
Ullrich fuhr in Gelb und brach am Berg ein. Es gab Razzien, Fahrer siegten,
Fahrer gestanden, Fahrer streikten, ein paar Teams reisten ab. Es war die
Tour de Farce. Das Ziel in Paris erreichten noch 96 von 189 gestarteten
Radprofis. Unter ihnen Jörg Jaksche, Startnummer 146, auf Rang 18. Aufgebaut hatte das Team der Belgier Walter Godefroot. Er war in den sechziger und siebziger Jahren, der Ära der Aufputschmittel, ein passabler Profi gewesen, der zweimal einen Doping-Test verweigerte. Jahrelang leitete er kleine Teams. 1992 ging er zum Team Telekom, der Konzern wollte groß einsteigen in den Radsport. Fahrer wie Erik Zabel, Jan Ullrich oder Bjarne Riis kamen ins Team, sie waren Siegfahrer. Und nun hatte Godefroot Jaksche zum "Kronprinzen" von Jan Ullrich erkoren. Der Kader des Teams traf sich Anfang Januar 1999 für zwei Wochen auf Mallorca im Hotel Valparaiso Palace zum ersten gemeinsamen Trainingslager. Jaksche war klar, dass auch in seinem neuen Team betrogen wurde. Er wusste nur noch nicht genau, wie. Jaksche: Nach ein paar Tagen sprach mich ein Sportlicher Leiter während einer gemeinsamen Ausfahrt an. Er fragte mich, wie ich mich im Jahr zuvor auf die großen Rennen vorbereitet hätte. Ich erzählte ihm von meinen Trainingsplänen. Dann fragte er: Und andere Sachen? Ich habe ihm dann gesagt, was ich genommen hatte. Überhaupt kein Problem, sagte er, rede mit den Ärzten. "Sachen", das war das Wort, das die Teamleiter benutzten. SPIEGEL: Auch Godefroot? Jaksche: Es gab eine Mannschaftssitzung im Konferenzraum des Hotels, wo sich alle Fahrer und die Teamleitung trafen. Godefroot besprach die Aufteilung der Prämien und sonstige Kleinigkeiten. Dann begann er ein wenig herumzudrucksen, in diesem merkwürdigen Deutsch-Flämisch. Er warnte davor, Sachen zu den Rennen mitzunehmen, das sei gefährlich geworden. Er sagte nicht, dass wir nichts mehr benutzen durften. Er sprach weder von Doping noch von Epo, aber für mich war klar, was er meinte. Nach fünf Minuten war das Thema durch, ohne Diskussion. Es war so eine Art beredtes Schweigen. SPIEGEL: Was wusste Godefroot? Jaksche: Die Mannschaftsleitung wusste alles. Es war ein fest installiertes System. SPIEGEL: Die Fahrer wurden von zwei Ärzten der Freiburger Uni-Klinik betreut, Andreas Schmid und Lothar Heinrich. Haben die beiden die Medikamente auch besorgt? Jaksche: Ja, die Freiburger waren aber keine Pillenfreunde. Sie haben gesagt: Wenn du etwas nehmen willst, nimm das, was etwas bringt und beherrschbar ist, also vor allem Epo. Den Kleinviehmist machen wir nicht. Sie wollten aufklären, helfen. Heinrich warnte mich sogar davor, Insulin zu nehmen, sonst könnte ich zuckerkrank werden. Bei den Ärzten kam ich mir sehr gut aufgehoben vor, nicht so wie bei Polti. SPIEGEL: Wer zahlte? Jaksche: In der ersten Saison habe ich 3000 bis 4000 Mark für Doping-Mittel gezahlt. SPIEGEL: Wer bekam das Geld? Jaksche: Meist die Ärzte. In bar. Vielleicht ein-, zweimal ein Sportlicher Leiter. Ob ich jemals an Godefroot selber zahlte, weiß ich nicht mehr. SPIEGEL: Verdienten Schmid und Heinrich an dem Handel? Jaksche: Nein. Ich wusste ja, was die Mittel auf dem Markt so ungefähr kosten. Die haben sich gesagt: Lieber besorgen wir es den Fahrern, bevor sie es sich in Timbuktu im Bodybuildingstudio holen. Ich glaube, es ging ihnen vor allem darum, den Sportlern nahe zu sein und an deren Erfolg teilzuhaben. Eine Art von Liebe, eine krankhafte Zuneigung. SPIEGEL: Welche Mittel bekamen Sie? Jaksche: Epo, dazu Wachstumshormon zur besseren Regeneration. Es gehörte zum Telekom-Alltag, den Hämatokritwert zu messen, weil ja ein Wert über 50 den Ausschluss von einem Rennen bedeutet hätte. 1999 war Jaksche fest eingeplant für die Tour de France. Nach dem Festina-Skandal sollte es die sogenannte Tour der Erneuerung werden. Rechtzeitig zur Tour de Suisse, dem letzten großen Rennen vor der Tour de France, setzte Jaksche das Epo ab, Godefroots Mahnung von Mallorca im Ohr. Sein Hämatokritwert war im unauffälligen Bereich. Bei anderen Telekom-Fahrern offenbar nicht. Jaksche: Einmal bei der Tour de Suisse, morgens im Hotel in Lausanne, kommt einer der beiden Ärzte, ich weiß nicht mehr, wer, die Treppe runter und sagt: O das wird aber knapp! Er zeigt Godefroot einen Zettel mit den Werten aus der Zentrifuge. Da wurde Walter so kreidebleich, dass sich niemand mehr Sorgen um die Werte machte, sondern nur um Walter. SPIEGEL: Godefroot behauptet noch heute, nichts vom systematischen Doping gewusst zu haben. Jaksche: Man muss davon ausgehen, dass er Bescheid wusste, denn so blind konnte niemand durch die Welt gehen. SPIEGEL: Godefroot war ohnehin schwer unter Druck geraten. Im Juni 1999 erschien im SPIEGEL ein Artikel, der die Doping-Praktiken beim Team Telekom beschrieb und sich auf Quellen aus dem Team berief. Jaksche: Die Veröffentlichung löste Besorgnis bei den meisten Fahrern aus. Alle fragten: Wer ist der Nestbeschmutzer? Ich war ja neu, wusste nichts über den Wahrheitsgehalt, aber was ich so mitbekam, stimmten die Geschichten im SPIEGEL. Nach den triumphalen Jahren steckte das Team 1999 plötzlich in der Krise. Jan Ullrich musste nach einem Sturz auf einen Start bei der Tour verzichten. Auch für Jaksche wurde die Rundfahrt zu einem Desaster. Auf der zweiten Etappe kam es zu einem Massensturz, seine Haut war an vielen Stellen abgeschürft. Aber das war nicht das wirkliche Problem: Jaksche fuhr ohne Doping. SPIEGEL: Wie wirkte sich das aus? Jaksche: Du hoffst von Tag zu Tag, dass das Tempo langsamer wird. Du musst dich mehr anstrengen, und du erholst dich schlechter. Ich konnte nirgends mithalten und kam mir komplett überflüssig vor. Zum Schluss hatte ich Angst, sogar auf einer Eisenbahnbrücke abgehängt zu werden. Letztlich war ich über den Sturz sogar froh, ich hatte eine Ausrede. Was willst du sonst sagen? Du fährst als Kronprinz los und kommst als 80. in Paris an. Ich habe mich über meine eigene Dummheit geärgert. Darüber, dass ich mir hatte Angst einjagen lassen. Dass ich der Depp war. Nach der Tour sollte ich im September Jan Ullrich bei der Spanien-Rundfahrt begleiten. Ich war in Form, aber meine Blutwerte waren niedrig. Mir war klar: Mit diesen Werten bin ich kaum hilfreich. Als ich in Spanien ankam, war die Versorgung schon organisiert. SPIEGEL: Galt Godefroots Parole, keine Sachen zu den Rennen mitzunehmen, nicht mehr? Jaksche: In Spanien konntest du dir die Epo-Spritzen an die Autoscheibe pflastern, und keiner hat dich angehalten. In Frankreich ging das nicht mehr. SPIEGEL: Ullrich gewann, mit Ihrer Unterstützung. Warum mussten Sie trotzdem ein Jahr danach das Team Telekom verlassen? Jaksche: Ich hatte eine Chance bekommen - und vertan. Ich hatte das System nicht begriffen und meine Freundin nicht mit Medikamenten nach Frankreich geschickt. Es war auch so, dass ich Anfang des Jahres noch ein guter Junge war, mein Hämatokritwert war niedrig, Godefroot sagte: Du bringst meine Mannschaft nicht in Gefahr. SPIEGEL: Und das hatte sich geändert? Jaksche: Ja. Nach dem Etappensieg von Giuseppe Guerini in L'Alpe d'Huez. Der Sieg bei der Königsetappe der Tour de France rettete Godefroot das Jahr. Offiziell hieß es: keine Sachen mit zu den Rennen! Aber in Wahrheit war es natürlich ganz anders. Wer bei einem Rennen nur mit einem Hämatokritwert von 44 auftauchte, war ein braver Junge, der bemitleidet wurde. Der mit 48 galt als knallharter Kalkulierer und der mit 49,5 als jemand, der das Team in Gefahr bringt. So krank war das. Es ging Godefroot nicht darum auszuschließen, dass jemand dopt, sondern dass er ungeschickt dopt. Lance Armstrong gewann seine erste Tour. Die Ergebnisse der Doping-Tests waren allesamt negativ. Tour-Chef Jean-Marie Leblanc sagte: "Meiner Überzeugung nach ist der Gebrauch von Epo verschwunden oder auf ein Minimum reduziert." Es gab keine Razzien und keine Skandale. Erst sechs Jahre später wurde bekannt, dass in Armstrongs Urin von 1999 dank neuer Messmethoden Epo-Spuren gefunden wurden, er bestreitet bis heute jegliches Doping. Für die Tour de France 2000 wurde Jaksche erst gar nicht nominiert. Ende Juni, am Rande der Deutschen Meisterschaft in Heppenheim, bestellte Godefroot seinen einstigen Kronprinzen ins Hotelzimmer und teilte ihm mit, dass sein Vertrag nicht verlängert wird. Die Zahl der Hauptdarsteller im Radsport ist überschaubar, es spricht sich schnell herum, wenn ein Fahrer unzufrieden in seinem Team ist. Im Frühjahr 2000 kam vor dem Start des Klassikers Lüttich-Bastogne-Lüttich der Spanier Manolo Saiz auf Jaksche zu. Der Sportliche Leiter des spanischen Once-Teams ist ein Patriarch und ein Pedant, der schon mal am Tag vor einer Tour-Etappe die Strecke mit dem Auto abfährt und abends seine Fahrer mit einem vierstündigen Video quält. Saiz fragte nach der Handy-Nummer. Jaksche bekam einen Zweijahresvertrag, er verdiente jetzt etwas mehr als bei Telekom. Once ist die spanische Blindenlotterie-Gesellschaft, die Fahrer waren dort ebenso angestellt wie Ärzte, Masseure oder Busfahrer. Im Frühjahr traf sich das Team für zwei Wochen in einem Trainingslager in El Bosque in der Nähe von Málaga. Ein Hotel ohne Fernseher, abends saßen die Fahrer zusammen, einer spielte Gitarre. Alles war perfekt organisiert, auch die ärztliche Betreuung. Das Jahr 2001 begann gut: Jaksche wurde beim Frühjahrsklassiker Flèche Wallone Dritter. Beim Etappenrennen Paris-Nizza war er zeitweise Zweiter, am Ende kam er auf den achten Platz. Bei der Tour de France fuhr er einige Etappen im weißen Trikot des besten Nachwuchsfahrers. Sein Team schätzte ihn besonders für seine Dienste als Edelhelfer des Once-Kapitäns Joseba Beloki. Er hatte großen Anteil daran, dass der Spanier in Paris als Dritter aufs Siegerpodest durfte. Jaksche selbst wurde 29. SPIEGEL: Was war anders bei Once? Jaksche: Ich kam plötzlich in eine Art Familie, die dich beschützt und dir hilft. Und Saiz war der Boss dieser Familie, dem niemand widerspricht. Er hat immer gesagt: Ihr werdet nicht fürs Denken, sondern fürs Treten bezahlt. SPIEGEL: Wie war das Doping organisiert? Jaksche: Ich war komplett in der Hand der Mediziner und kann nicht einmal sagen, was die genau mit uns gemacht haben. Ich habe einfach nur meinen Arm hingehalten und mich spritzen lassen. Dir bleibt auch gar nichts anderes übrig. Außerdem gehst du davon aus, dass die dir nichts geben, was dich positiv machen würde. Das ist ja die Hauptsorge eines Radfahrers. Du schaust dir die Historie des Teams an und siehst: In zehn Jahren haben die immer auf ihre Fahrer aufgepasst. Also wird dir auch nichts passieren. Gut möglich, dass sie mir drei Jahre lang das volle Programm verabreicht haben. Ich weiß es einfach nicht. Und ich wollte es auch nicht wissen: Mir ging es gut, ich war gesund und hatte einigermaßen gute Ergebnisse. Es war so eine Art Rund-um-sorglos-Paket. Bei der Tour de France des Jahres 2002 besiegte Once im Zeitfahren das favorisierte Team des Amerikaners Lance Armstrong, Jaksche belegte im Endklassement Platz 31 - als bester Deutscher. Weil er damit zufrieden war, machte er sich nur selten Gedanken darüber, wie seine Karriere weitergehen sollte. Jaksche ist ehrgeizig, professionell, bereit, alles zu tun, was man von einem Radprofi verlangt. Aber es fehlte ihm das letzte Talent eines Ullrich, die Aggressivität eines Riis und die Besessenheit eines Armstrong, um ganz nach oben zu kommen. Bei der Tour de France 2003 hätte er auf einer der ersten Bergetappen den größten Erfolg seiner Karriere erringen können. Sein Teamkapitän Beloki stürzte, Jaksche hätte selbst ins Gelbe Trikot des Spitzenreiters fahren können, aber er hielt an und kümmerte sich um den Verletzten. Der Spanier hatte mehrere Brüche, Jaksche kam mit großer Verspätung ins Ziel. "Ich hätte mein Gewissen ruiniert, wenn ich nicht gehalten hätte. Das ist ja mein Freund Beloki, der da am Boden lag", sagte er. Er wurde schließlich in Paris 17. Am Ende des Jahres zog sich der Sponsor Once zurück, das Team löste sich auf. Jaksche verhandelte zunächst mit dem Team Gerolsteiner, schloss sich dann aber der dänischen Mannschaft CSC an. Er erhielt einen Zweijahresvertrag über 500.000 Euro pro Jahr, im Vertrag stand die Klausel: Wer dopt, fliegt raus. Es war ein Paragraf, mit dem damals jede Teamleitung ihren hartnäckigen Kampf gegen das Doping demonstrieren wollte. Chef des Rennstalls war Bjarne Riis, Tour-Sieger von 1996. Riis hat unter Fahrern einen guten Ruf als Sportlicher Leiter. Er ist akribisch und kennt sich aus. Der ehemalige Telekom-Masseur Jef D'hont nennt ihn wegen seiner hohen Hämatokritwerte "Mister 64 Prozent". SPIEGEL: Warum sind Sie zum Team CSC von Bjarne Riis gewechselt? Jaksche: Sagen wir es so: Seine Vorgeschichte als Fahrer war kein Grund, mich gegen ihn zu entscheiden. Es war aber auch kein Grund für mich, zu ihm zu gehen, nach dem Motto: Der weiß, wie's geht. Mich hat beeindruckt, wie er aus Fahrern wie Laurent Jalabert oder Tyler Hamilton noch mal viel Leistung herausgekitzelt hat. Er ist ein Pragmatiker, versucht, immer das Maximale herauszuholen. Ich kannte Riis schon länger, er wohnt in der Nähe von Lucca. Anfang des Jahres 2004 haben wir uns zum Skifahren in Abetone verabredet. Wir sitzen also im Doppelsessel des Skilifts und unterhalten uns über den Rennkalender und kommen ganz nebenbei darauf zu sprechen, was man als Fahrer so machen kann, um seine Leistung zu steigern, so wie damals Pevenage bei Telekom. 2004 war ein schwieriges Jahr, die Geschäftsgrundlage hatte sich geändert. Es gab jetzt auch einen Test zum direkten Nachweis von Epo, es wurden auch Kontrollen in der Trainingsphase vorgenommen. Die ersten 50 der Weltrangliste mussten jetzt ihren Aufenthalt für Trainingskontrollen melden. Da hatte ich oft das Gefühl der Panik. Kann ich keine Leistung mehr bringen? Kann ich noch Geld verdienen? Wie erkläre ich meinen Leistungsabfall? Dahinter stand der Gedanke: Das ist ungerecht. Die ersten 50 werden kontrolliert, die anderen nicht. Deshalb suchst du irgendwann nach anderen Lösungswegen, um auf ein ähnliches Leistungsniveau wie bisher zu kommen. SPIEGEL: Wie oft wurden Sie kontrolliert? Jaksche: Die Trainingskontrollen waren nur sporadisch und eher lasch. Ich hätte einfach nur zur Tür gehen müssen, den Namen meines Bruders angeben, und die Kontrolleure wären wieder weggefahren. Ich bin nur sehr selten in der Trainingsphase überprüft worden. Bjarne und ich haben offen über mein Problem mit den Trainingskontrollen geredet. SPIEGEL: Gab es bei Riis organisiertes Doping? Jaksche: Riis wusste natürlich über Doping Bescheid, er sagte, was Sache ist. Ich glaube, er war in dem Zwiespalt, zwischen dem, was in seiner aktiven Zeit möglich war, und dem, was heute noch möglich ist. Es war eine Gratwanderung zwischen der Vision eines sauberen Radsports und dem Wissen, dass es ohne Doping nicht geht. Es gab dann die Möglichkeit, Synacthen zu nehmen und Sachen, die so halblegal sind, weil sie offiziell nicht auf der Doping-Liste standen. Aber der Zweck war der gleiche: Doping. Generell ging das Niveau in diesem Jahr ein bisschen runter, die Geschwindigkeit am Berg war etwas geringer. Kein Vergleich zum Jahr 1997, als der 50er Hämatokritwert eingeführt wurde. SPIEGEL: Was nahmen Sie unter Riis? Jaksche: Epo, aber nur bis Paris-Nizza, danach wurde es, wie schon gesagt, zu gefährlich. Zu Bjarne habe ich gesagt: "So, meine Leistung habe ich für dieses Jahr gebracht. Ich will jetzt kein Risiko mehr eingehen." Kortison haben wir dagegen praktisch über die gesamte Saison genommen. Das steht zwar auch auf der Doping-Liste, ist aber unter bestimmten Auflagen erlaubt - etwa wenn man eine Bescheinigung hat, Asthmatiker zu sein. So konnte man es zu den Rennen mitnehmen, ohne Angst vor einer Razzia zu haben. Kortison gab es zu den Rennen intramuskulär, weil es so den größten Effekt hat. Im Februar 2004 gewann Jörg Jaksche die Mittelmeer-Rundfahrt, vier Wochen später die Rundfahrt Paris-Nizza. "Vom kleinen Wasserträger zum großen Hoffnungsträger", schrieb der "Kicker". Bei einer Trainingsfahrt im April stürzte Jaksche, brach sich den Ellenbogen und wenige Tage vor dem Start der Tour de France sogar ein zweites Mal. Während Armstrong in Frankreich wieder einmal über Ullrich triumphierte, bereitete sich Jaksche auf die Klassiker im Spätsommer vor. Doch er stürzte noch einmal, brach sich diesmal die Schulter. Nach dem starken Beginn war 2004 ein Seuchenjahr. Ende 2004 geriet Riis mit seinem Team in finanzielle Schwierigkeiten. Er war bereit, Jaksche ziehen zu lassen. Jaksches alter Once-Teamleiter Saiz hatte mit dem Versicherungsunternehmen Liberty Seguros einen neuen Geldgeber gefunden und machte Jaksche ein Angebot. Jahresgehalt: rund 500.000 Euro. Zum neuen Team von Liberty Seguros gehörte auch ein bekannter Arzt: Eufemiano Fuentes, damals 49 Jahre alt, bis 2003 Teamarzt beim spanischen Team Kelme. SPIEGEL: Haben Sie jemals mit Saiz konkret über Doping gesprochen? Jaksche: Nein, das war so ein Wir-wissen-worum-es-geht. Er hat auch den Namen Fuentes nie erwähnt, er sagte nur irgendwann, dass mich ein Arzt anrufen wird. Ich kannte Fuentes vom Hörensagen, er rief mich kurz nach Silvester an, es war kalt, ich war mit Freunden in den Bergen, ich ging nach draußen in den Schnee, weil ich ja nicht wollte, dass irgendjemand das Gespräch mithört. Fuentes sagte: Hallo, hier ist Eufemiano. Er schlug vor, dass ich mal nach Gran Canaria komme, wo er wohnt. Und dann bin ich runtergefahren. SPIEGEL: Wann? Jaksche: Mitte Januar 2005. Fuentes holte mich in seinem klapprigen Toyota vom Flughafen ab. Wir kamen sehr zügig zur Sache und gingen das ganze Programm durch. Als Erstes sprach er von Anabolika, aber die wollte ich nicht, weil große Muskelpakete hinderlich sind in den Bergen. Dann künstliches Hämoglobin, irgendwelches Zeug aus Russland, tiefgefroren. Das war mir zu gefährlich. Dann kamen wir auf Epo, aber das wollte ich nicht wegen der Trainingskontrollen. Er sagte, dass er ein Mittel habe, um Epo-Doping zu vertuschen, das hat er mir später mal in so einer kleinen Pillendose mitgegeben, und das mixte man in den abgegebenen Urin. Fuentes hat quasi seinen gesamten Katalog aufgeblättert und mich gefragt, welches Risiko ich eingehen wolle. Mit Risiko meinte er das Risiko, erwischt zu werden, nicht das gesundheitliche Risiko. So kamen wir auf Eigenblut-Doping. Die Methode war komplett neu für mich, aber er redete davon wie andere Leute vom Windelwechseln. SPIEGEL: Was für ein Typ ist Fuentes? Jaksche: Er stammt aus einer angesehenen Familie auf Gran Canaria und legt keinen großen Wert auf großspurige Auftritte in der Öffentlichkeit. Fuentes ist einer dieser Sportmediziner, die sich freuen, wenn ihre Fahrer vorn sind, weil sie dies auch als ihren eigenen Triumph ansehen. Fuentes hatte keine Praxis, noch nicht einmal zur Tarnung. Sein Geschäft betrieb er in einem Apartment in der Calle Caídos de la División Azul. Er ist nicht so ein spanischer Metzger. Er hat etwas Geniales an sich, auch wenn er manchmal ein bisschen durchknallt. Das ist so einer, der auch mal bei Rot über die Ampel fährt, um zu schauen, was passiert. SPIEGEL: Hatten Sie dann später auch privat Kontakt zu ihm? Jaksche: Ja. Ich hatte ihm mal erzählt, dass mein Vater Augenarzt ist. Fuentes hat eine kleine Tochter, bei der kurz nach der Geburt Augenkrebs festgestellt worden war. Er hat mich gefragt, ob ich ihm helfen könne. Da ein Augapfel fehlte, wuchs der Schädel des Mädchens ungleichmäßig. Er hat mir medizinische Unterlagen und Bilder seines Kindes gegeben, die ich dann an meinen Vater weitergeleitet habe. Mein Vater hat Kontakt zu Chefärzten in München und Münster, denen er die Dokumente weitergeschickt hat. SPIEGEL: Hat Fuentes Ihnen beim ersten Treffen auf Gran Canaria schon Blut abgenommen? Jaksche: Ja, das war in meinem Hotelzimmer und lief ab wie bei einer Blutspende. Ich habe mich auf eine Couch gelegt, dann wurde die Kanüle angelegt, das Blut floss raus, und nach gut einer halben Stunde war ein halber Liter abgezapft. In der DDR wurde schon in den siebziger Jahren mit Blutaustausch experimentiert, die Methode geriet aber in Vergessenheit, weil das systematisch organisierte Anabolika-Doping größere Erfolge versprach. Fuentes hat Jaksche erzählt, dass er selbst eine Zeitlang in der DDR gewesen sei und sich dort mit Trainern und Ärzten ausgetauscht habe. Es ist wohl unwahrscheinlich, dass sich Fuentes hier viel Wissen besorgt hat. Blut-Doping gab es auch im Westen. Der viermalige Langstrecken-Olympiasieger von 1972 und 1976 Lasse Virén gilt als ein Pionier des Verfahrens, sich vor den Rennen Blut zuzuführen, das man sich zuvor bei einem Höhentrainingslager entnommen hat. Danach geriet die Methode außer Mode. Zu hoch der Aufwand und zu wenig Ärzte, die dabei mitmachten. SPIEGEL: Wussten Sie von anderen Fahrern, die sich von Fuentes das Blut austauschen ließen? Jaksche: Fuentes war ein Meister der Tarnung. Keiner seiner Kunden wusste vom anderen. Noch nicht einmal in unserem Team war genau bekannt, ob noch mehr Fahrer bei ihm sind. SPIEGEL: Sie glaubten doch nicht im Ernst, dass Fuentes Sie exklusiv betreute? Jaksche: Nein, aber Fuentes hat dich in diesem Glauben gelassen. Ein Fahrer hat mir später erzählt, Fuentes habe ihm gesagt, er solle ihm ein bisschen mehr bezahlen, dann betreue er ihn exklusiv. Vermutlich hat Fuentes es mit anderen Top-Fahrern wie Ullrich genauso gemacht. Zumindest schließe ich das aus den bekannt gewordenen Honoraren der Operación Puerto. SPIEGEL: Wie liefen die Treffen ab? Jaksche: Ich musste in einem Café in der Nähe warten, manchmal nur fünf Minuten, manchmal auch zwei Stunden. Fuentes persönlich setzte dann die Nadel an. Ich habe mir gedacht, du musst das jetzt machen, wenn du mithalten willst. Und da waren keine Quacksalber am Werk. Merino Batres, der Helfer von Fuentes, versteht sein Handwerk, der war angeblich 40 Jahre lang Chef der Madrider Blutbank. Und Fuentes war so ein Arzt, der dich aufgeklärt hat. Während das Blut rauslief, hat er erzählt, wie das Blut gekühlt und aufbewahrt wird. Das Gefährlichste, was passieren könne, sei, dass Bakterien ins Blut gelangen. Deshalb hat er viel Wert auf Hygiene gelegt. Mein Arm wurde immer mit rotem Desinfektionsmittel eingeschmiert, so als wollte er mir Gott weiß was aufschneiden. SPIEGEL: Ist Blut-Doping unangenehmer als die Epo-Spritze? Jaksche: Der Akt der Blutzufuhr an sich ist schon eklig. Auf der anderen Seite hast du ein reines Gewissen, du sagst dir: Okay, ich muss keine Angst haben bei der Kontrolle. Es sind keine gefährlichen Substanzen, es ist mein eigenes Blut. Für mich war das kein Doping. Für mich war es Anpassung an das System. 2005 war Jaksche im Team von Saiz wieder als Edelhelfer vorgesehen, diesmal für den Spanier Roberto Heras. Beim Critérium International in den Ardennen wurde er Dritter und gewann die Bergwertung. Beim Etappenrennen Paris-Nizza belegte er Platz fünf, ein Sturz verhinderte eine bessere Plazierung. Vor seinem Lieblingsrennen hatte er sich erstmals einen der gebunkerten Blutbeutel reinfundieren lassen. Eigenblut-Doping ist logistisch hochkompliziert. Die Termine für die Blutabnahme und die Blutzufuhr müssen festgelegt werden, dabei muss Fuentes berücksichtigen, dass er dem Fahrer immer nur einen halben Liter Blut abnehmen kann und der Körper bis zu vier Wochen braucht, bis er das alte Blut ersetzt hat. In dieser Zeit ist der Körper geschwächt und der Sportler bei Rennen nicht einsetzbar. Und weil die Blutbeutel maximal vier Wochen haltbar sind, wird bei einem Fahrer während des ganzen Frühjahrs Blut ausgetauscht. Bei der ersten Abnahme gibt der Athlet einen halben Liter Blut ab, beim zweiten Besuch vier Wochen später einen ganzen Liter, bekommt aber den ersten halben Liter wieder zugeführt. So hat Fuentes einen Liter Frischblut, der Fahrer verliert jedoch nur einen halben Liter. Beim dritten Besuch der gleiche Vorgang: Der Athlet gibt einen Liter ab, bekommt aber einen halben Liter wieder zurück. So hatte ein Fahrer immer zwei frische Beutel im Kühlschrank. Das ist ein ziemlich großer Aufwand, erst recht, wenn mehr als 50 Fahrer auf der Kundenliste stehen. Auch der Transport der Beutel ist kompliziert. Die Päckchen müssen gekühlt und beim Einsatz in ganz Europa über die Grenzen transportiert werden. Weil es in Frankreich ein Anti-Doping-Gesetz gibt, holte sich Jaksche vor dem Start der Tour de France 2005 die erste Ration frisches Blut in Madrid ab und ging also frisch gedopt auf die erste Etappe. Jaksche: Das war wie ein ständiger Ölwechsel. Bei mir hat es anfangs aber nicht so toll funktioniert, weil mich diese Rein- und Raustauscherei kaputtgemacht hat. Deshalb habe ich den Einsatz auf ein Minimum reduziert. Für zwei Klassiker, für das Rennen Paris-Nizza und für die Tour de France. SPIEGEL: Und wie funktionierte das dann während einer Rundfahrt? Jaksche: Da zeigt sich die logistische Meisterleistung von Fuentes. Der hatte überall seine Mitarbeiter. 2005 führte die Tour durch Deutschland. Also bin ich im Frühsommer von Ansbach nach Bad Sachsa in den Harz gefahren. Dort hat mir ein Dr. Choina einen halben Liter Blut abgenommen. Zum verabredeten Termin am 8. Juli kam Choina dann nach Karlsruhe und hat es mir für den Rest der Tour zurückgegeben. Es dauert zwei Tage, bis sich das zugeführte Blut verstoffwechselt hat. Aber dann fühlt man sich einfach besser. Du merkst, dass du am Berg länger vorn mitfahren kannst. Du hast dabei nicht weniger Schmerzen, aber die Schmerzgrenze liegt höher. Denn in den Blutbeuteln ist ja mehr drin als die roten Blutkörperchen, die du zum Transport des Sauerstoffs brauchst: körpereigenes Wachstumshormon und Testosteron, Vitamine, Proteine. Das wirkt wie eine Verjüngungskur. SPIEGEL: War die Tour 2005 eine Tour der Eigenblut-Doper? Jaksche: Irgendwann wird dir klar, dass das, was du machst, keine Sonderbehandlung ist. Ich hatte mich mit meinem eigenen Blut gedopt und trotzdem weiterhin die gleichstarken Gegner. Es war ja nicht so, dass ich eine Atombombe hatte und die anderen kämpften immer noch mit der Machete. Man lernt: Es gibt ein neues System, sich den Kontrollen zu entziehen. Eine Magenverstimmung auf einer schwierigen Pyrenäen-Etappe kostete Jaksche den erhofften Platz unter den Top Ten. Im Gesamtklassement belegte er als bester Deutscher hinter Jan Ullrich den 16. Rang. Mit der Tour war sein letzter Blutbeutel für dieses Jahr verbraucht. Er fuhr noch die Deutschland-Tour und erreichte dort den vierten Platz. Im September traf er bei der Weltmeisterschaft in Madrid Fuentes, um die Zusammenarbeit für die neue Saison zu besprechen. 2006 sollte Jaksche von Fuentes' neuem Kühlsystem profitieren, ein Aggregat, das angeblich die Amerikaner für den Vietnam-Krieg erfunden haben. Dabei wird das abgegebene Blut zentrifugiert und dann auf mehr als minus 80 Grad eingefroren. Der Vorteil gegenüber dem alten System: Das Blut ist zehn Jahre lang haltbar. So können viel mehr Beutel gelagert werden, der stetige Austausch von altem und neuem Blut entfällt. In der Winterpause fuhr Jaksche regelmäßig nach Madrid, einmal im Monat. Jaksche: Fuentes war inzwischen bei Saiz in Ungnade gefallen. Einer unserer Fahrer war in der ersten Hälfte der Saison wegen eines Hämatokritwerts von über 50 mit einer Schutzsperre belegt worden. Danach gab es keine Kooperation des Teams mehr mit Fuentes. Aber Saiz erlaubte es trotzdem, dass ich weiter privat mit Fuentes zusammenarbeitete, allerdings auf eigene Kosten. Fuentes und ich haben uns dann Anfang 2006 in Madrid getroffen. Er sagte mir, was ich zu zahlen habe: 10.000 Euro für die erste Rate. Die habe ich ihm überwiesen. Das Komplettprogramm mit allem Drum und Dran sollte 30.000 Euro kosten. Wir haben nicht großartig verhandelt, der Preis erschien mir fair, er musste die Geräte bezahlen, seine Helfer, außerdem ging er ja auch ein gewisses Risiko ein. SPIEGEL: Wie funktionierte das neue System? Jaksche: Ich bin zum Reinfundieren immer über Madrid zu den Rennen gefahren. Fuentes ist dann meist morgens oder abends ins Hotel gekommen. Er war dabei oft gestresst, weil er vor großen Rennen viel zu tun hatte. In den Unterlagen der Guardia Civil steht, dass er einmal 72 Stunden am Stück gearbeitet haben soll. SPIEGEL: Was war Ihr Plan für 2006? Jaksche: Für die erste große Frühjahrsrundfahrt, einen weiteren Klassiker und natürlich für die Tour de France sollte ich frisches Blut bekommen. Das war der Jahreshöhepunkt. Geplant war, dass ich vor der Tour nach Madrid komme, und für die zweite Hälfte der Tour sollte Blut in der Bretagne gebunkert werden. Fuentes und Jaksche haben sich das letzte Mal gesehen in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai, in Madrid, in Zimmer 605 des Hotel Puerta, dort, wo Saiz öfter sein Team zusammenkommen ließ. Fuentes nahm ihm an diesem Abend noch einmal Blut ab. Zehn Tage später, am 23. Mai, durchsuchte die spanische Polizei das Labor des Fuentes-Helfers Merino Batres und die Apartments von Fuentes in der Calle Alonso Cano und in der Calle Caídos de la División Azul. Sie fanden mehr als 220 Blut- und Plasmabeutel, dazu große Mengen Wachstumshormon, Anabolika und Epo. Beim Verlassen eines Hotels nahmen sie Jaksches Teamleiter Saiz und Fuentes fest. Saiz hatte 30.000 Euro und 28.000 Schweizer Franken in bar dabei und eine Kühltasche, darin vier Packungen Synacthen. SPIEGEL: Wieso wollte Saiz dieses Geld an Fuentes zahlen, die beiden hatten doch gar keinen Kontakt mehr? Jaksche: Meines Wissens nach waren es Restschulden von Saiz an Fuentes aus dem Jahr 2005, die er begleichen musste. Saiz hatte Probleme mit einem Spitzenfahrer aus seinem Team, der zu Beginn des Jahres zu Liberty Seguros gewechselt war und einen sehr schlechten Frühling hatte. Der Fahrer und sein Manager, der seit fünf Jahren auch mein Manager war, hatten Saiz unter Druck gesetzt. Sie wollten eine bessere medizinische Betreuung, und Saiz ließ sich darauf ein, er war in einer Zwickmühle: Der Spitzenfahrer ist teuer, Saiz musste sich vor seinen Sponsoren rechtfertigen. SPIEGEL: Könnte es sein, dass es sich bei dem Fahrer um Alexander Winokurow und bei dem Manager um Tony Rominger handelt? Warum nennen Sie nicht die Namen? Jaksche: Noch einmal, ich will keine Fahrer belasten. Saiz ist wegen dieses Fahrers zurück zu Fuentes, deswegen musste er die Schulden bezahlen, deswegen flog alles auf. SPIEGEL: Wie haben Sie von der Razzia und den Verhaftungen im Rahmen der Operación Puerto erfahren? Jaksche: Wir waren im Trainingslager in der Nähe von Santander in Nordspanien. Abends gegen 18 Uhr, nach dem Training, sagte unser Busfahrer: Manolo und Eufemiano sind verhaftet worden. Mehr wussten wir nicht. Ich habe erst mal eine Dusche genommen, ich war ziemlich durcheinander: Wieso werden die verhaftet? Wir wussten nicht, dass es illegal ist, was wir taten. Ich habe Fuentes mal gefragt, was eigentlich passiere, wenn er von der Polizei angehalten wird und Blutbeutel im Auto hat. Nichts, hat er gesagt, weil es kein Gesetz gibt, das ihm diese Arbeit verbiete. Am nächsten Tag jedenfalls waren die Zeitungen voll, ich bin dann abgehauen. Nach Bilbao zum Flughafen und dann zurück nach Hause, über Paris. Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich, französischen Boden zu betreten. Jaksche trat, trotz Angst, dass alles auffliegt, bei der Tour de Suisse an. Er war nervös, er hatte fünf Kilo abgenommen. Jan Ullrich siegte, Zweiter wurde der Spanier Koldo Gil und Dritter Jaksche. Auf den Fotos der Siegerehrung sieht er ziemlich klapprig aus, das Trikot schlabbert, er wog höchstens 65 Kilo. "Ich sehe schrecklich aus", sagt Jaksche. Einen Tag vor der Tour de France veröffentlichte eine spanische Zeitung eine Liste mit 37 Kunden von Fuentes, die aus den Akten zusammengestellt worden war. Die beiden Tour-Favoriten Basso und Ullrich waren dabei, und auch Jörg Jaksche. Ullrich und sein Teamkollege Oscar Sevilla sowie der Sportliche Leiter Rudy Pevenage wurden vom Team T-Mobile suspendiert. Der Untersuchungsbericht der Guardia Civil über die Kunden von Fuentes machte die Runde. Jaksche: Die Angaben in den Akten stimmen nur zum Teil. Die Nr. 20 gehörte zum Beispiel bis 2005 einem anderen Fahrer. Die spanischen Ermittler gehen davon aus, dass ich auch unter dem Namen "Jorge" geführt wurde, was nicht stimmt. Und es hat sich außerdem herausgestellt, dass es keinerlei Filmaufnahmen von mir gibt. Was die spanische Polizei gefunden hat, war eine Visitenkarte von Doktor Merino Batres, dem Helfer von Fuentes. Batres ist über 70 Jahre alt und ein bisschen senil. Bei jedem Treffen hat er sich immer wieder neu vorgestellt und auch jedes Mal erzählt, dass er zum Skifahren nach Tirol fährt. Der war so durcheinander, dass er sich Codenamen und dazugehörige Nummern auf einer Visitenkarte notieren musste, und die wurde gefunden bei der Razzia. Ich will nichts zerreden, aber man muss schon sagen, dass die spanische Polizei merkwürdig schlampig gearbeitet hat, die wollten vor der Tour noch schnell etwas raushauen. SPIEGEL: Hat es Sie überrascht, wer alles auf der Liste steht? Jaksche: Ja. Aber noch mehr hat mich überrascht, wer alles nicht draufsteht - bei all dem Wissen, das jetzt bekannt ist. Es gibt auch unterschiedliche Versionen dieser Liste, plötzlich fehlten Namen. Da hat es eine Selektion gegeben. Am Ende standen fast nur die Fahrer aus meinem Team Liberty Seguros drauf und ein paar große wie Ullrich oder Basso. SPIEGEL: Die UCI behauptet, es gebe von ihr nur eine Liste. Der spanische Fahrer Alejandro Valverde beispielsweise fehlt dort. In Fuentes Tiefkühlschrank wurde ein Blutbeutel gefunden, der mit dem Codenamen "VALV.(PITI)" beschriftet ist und in dem sogar Epo-Spuren gefunden wurden. Piti ist der Name von Valverdes Schäferhund. Jaksche: Name, Codename, Blutbeutel und Blutbeutel mit Epo - das ist der Super-GAU. SPIEGEL: Aber warum sollte jemand Valverde schützen? Jaksche: Wenn es so sein sollte, dann gibt es wohl sportpolitische Interessen, weil er Spaniens große Radsporthoffnung ist. SPIEGEL: Und Jan Ullrich? Jaksche: Gewundert hat mich damals gar nichts mehr, selbst wenn der König von Spanien auf der Liste gestanden hätte. SPIEGEL: Können Sie sich einen anderen Grund vorstellen, Blutbeutel im Kühlschrank von Fuentes zu lagern, außer um sie zum Doping einzusetzen? Jaksche: Höchstens für den Stierkampf. SPIEGEL: Hat sich Fuentes noch einmal bei Ihnen gemeldet? Jaksche: Im September, vier Monate nach der Operación Puerto, bekam ich eine SMS von Fuentes: "Hallo, hier ist ein alter Freund von dir, melde dich mal." Wir haben dann zwei, drei Minuten miteinander geredet. Er war ganz gelassen, was seine Zukunft betrifft, aber er hat sich auch entschuldigt, weil er wusste, in was für einer Situation ich mich befand. Nach der Operación Puerto zog sich Liberty Seguros, der Sponsor von Jaksches altem Team zurück. Jaksche wurde schließlich arbeitslos. In der Öffentlichkeit leugnete er weiterhin jedes Doping. Die Versuche, ein neues Team zu finden, scheiterten. Einerseits fehlten dem Weltradsportverband zwar die Beweise für eine Sperre, andererseits wollte keines der größeren Teams ihn anstellen, weil die Veranstalter der großen Rennen keinen Fahrer von der Fuentes-Liste fahren lassen wollten. Als Jaksche schließlich in einem Interview mit einer Presseagentur im März vom Aufhören spricht, meldeten sich danach fast alle Teamleiter und Sportdirektoren seiner Karriere: Gianluigi Stanga, Bjarne Riis, Manolo Saiz. Jaksche: Es gab das Gerücht, dass ich rede, und das hat wohl viele beunruhigt. Bjarne Riis zum Beispiel sagte mir, er könne mir nicht helfen, er könne ja nichts dafür. Und er sagte, dass es ihm leid tue. Alle behaupten immer, dass der Radsport mafiös sei. Aber dieser Vergleich stimmt nicht. Die Mafia kümmert sich um ihre Leute, um ihre Familien. Wenn einer zurückbleibt, muss er sich keine Sorgen machen. Wäre der Radsport eine Mafia, würden sie sagen: Halt ein Jahr lang deine Klappe, und danach stellen wir dich zu guten Konditionen wieder ein. Aber der Radsport ist nicht mafiös, der Radsport ist skrupellos. Seit zweieinhalb Monaten hat Jaksche einen neuen Rennstall. Es ist so etwas wie ein Gnadenbrot. Das Team Tinkoff gehört dem russischen Millionär Oleg Tinkoff, es ist ein zweitklassiges Team, das nicht zur Tour de France eingeladen ist. Jaksche bekommt ein Mini-Gehalt für einen Radprofi: 37.500 Euro. Er hat für das Team nur ein paar kleinere Rennen fahren dürfen, die Lothringen-Rundfahrt gewann er, bei der Euskal Bizikleta wurde er Zweiter. Jaksche sagt, dass er nicht mehr dopt. Acht Stunden lang redet Jaksche an diesem Freitag im Hotel Universo in Lucca. Irgendwann am Nachmittag klingelt sein Handy. Es ist Gianluigi Stanga, der Chef des Teams Milram. Der Radsport ist eine kleine Welt, in der sich Gerüchte schnell rumsprechen. Seit Wochen schon gilt Jaksche als Bedrohung. Stanga hat gehört, dass Jaksche mürbe geworden ist. Das Telefonat hat einen freundlichen, ruhigen Ton. Stanga ist keiner dieser hemdsärmeligen Teamleiter, er trägt feine Anzüge und hat gute Manieren. Man könnte sagen, dass er Jaksche einlullen, ihm Hoffnung machen will, dass bald alles vorbei sei mit der Operación Puerto und wieder Ruhe einkehre. Er sagt auch, dass sich alle Teamleiter demnächst zusammensetzen wollten und er sich für eine Amnestie einsetzen werde, damit die Fuentes-Fahrer wieder starten dürfen. Nur noch die deutschen Teams, Gerolsteiner und T-Mobile, verhinderten, dass die Operación Puerto endlich ad acta gelegt werde. Stanga droht ihm nicht, er kann ihm nicht drohen, womit auch? Jaksche hat nichts mehr zu verlieren. In den beiden vergangenen Wochen, seit dem Treffen in Lucca, hat er mehr als 40 Anrufe bekommen. Teamleiter, Masseure, Fahrer, es gibt nicht viele, die ihn unterstützen, ein paar drohen ihm, dass es für ihn keinen Weg zurück geben werde. Jaksche versucht trotzdem, sein Trainingspensum einzuhalten, sechs Stunden lang, jeden Morgen. Jaksche: Das sind dann die Momente, in denen man nachdenkt. Und man sich fragt, ob die Entscheidung zu reden richtig ist oder nicht. Ich weiß, dass diese Entscheidung sehr weit reichende Konsequenzen haben kann. Ich habe Angst davor und immer noch Zweifel, ich werde sie auch haben, wenn die Geschichte erschienen ist. Ich mag Bjarne und Stanga und die anderen, ich möchte ihnen keinen Schaden zufügen. Bjarne steckt dieses Jahr 500.000 Euro in das Anti-Doping-System seines Rennstalls CSC. Das ist sein persönliches Geld und nicht, wie bei T-Mobile, das Geld eines Konzers. SPIEGEL: Warum macht Riis das erst jetzt? Jaksche: Weil er begriffen hat, dass sich etwas ändern muss, denn sonst geht der ganze Sport vor die Hunde. Natürlich ist das eine wirtschaftliche Entscheidung, natürlich will er weiter Geld verdienen mit seiner Firma. Aber es waren auch wirtschaftliche Gründe, die ihn früher dopen ließen: Nur wer dopt, gewinnt. Nur wer gewinnt, kommt in die Medien. Nur wer in den Medien ist, macht seine Sponsoren glücklich. Nur glückliche Sponsoren geben auch im nächsten Jahr noch frisches Geld. SPIEGEL: Hat sich Riis bei Ihnen auch in den vergangenen Tagen gemeldet? Jaksche: Ja, er war sehr nett, sehr umgänglich. Er hatte gehört, dass ich mit dem SPIEGEL rede, und wollte wissen, ob das stimmt. Ich habe ihn gefragt: Bjarne, warum meldest du dich jetzt? Als ich arbeitslos wurde, hast du dich nicht gemeldet. SPIEGEL: Herr Jaksche, Sie haben zehn Jahre geschwiegen und gelogen, wenn Sie auf das Thema Doping angesprochen wurden. Warum reden Sie jetzt? Jaksche: Ich glaube, dass es wichtig ist für die Zukunft dieses Sports, dass einer mal sagt: Okay, so läuft das hier. Ich will irgendwann bei einem großen Rennen an die Tür der Teamleiter klopfen und sagen: "Ihr wolltet mich loswerden, aber ich bin immer noch da." Natürlich hat mir niemand den Arm für die Spritze festgehalten, aber die Teamleiter, die sich früher an dir bereichert haben, die dir die Sachen besorgt haben, ausgerechnet die tun plötzlich so, als würden sie alle für einen sauberen Radsport eintreten. SPIEGEL: Warum haben Sie gedopt? Jaksche: Radfahren an sich ist nicht schön. Es tut immer weh. Der Sport ist mit sehr viel Schmerz, körperlichem Schmerz, verbunden. Das Training ist der Versuch, deine Leistungsfähigkeit so zu steigern, dass du nicht abgehängt wirst, und damit es nicht so wehtut, gab es erst Kortison, dann Epo, und heute gibt es frisches Blut. Radfahren ist ein schwieriger Sport. Als Fußballer kann man 90 Minuten lang wie ein Trottel übers Feld laufen, dann schießt du in der Verlängerung das entscheidende Tor und bist ein Held. Im Radsport wird man bei 99 von 100 Rennen abgehängt, auch wenn du alles gibst. Es tut weh, die ganze Zeit, und man hat trotzdem nur selten Erfolg. SPIEGEL: Würden Sie weiter dopen, wenn Sie nicht auf der Fuentes-Liste stünden? Jaksche: Ich würde es wahrscheinlich tun, so egoistisch bin ich schon. Obwohl sich natürlich jeder normal denkende Mensch sagen muss: Das kann so nicht weitergehen, weil irgendwann alle Sponsoren weg sind. Aber angenommen, ich wäre nicht auf der Liste, und ich würde trainieren wie verrückt, und trotzdem hängen mich alle ab, gerade bei den großen Rennen, dann hätte ich keine Chance ohne Doping. Wenn du weißt, dass sich der Radsport nicht grundsätzlich geändert hat, wovon auszugehen ist, dann musst du weitermachen. Es ist pervers, aber das Doping-System ist gerecht, weil alle dopen. Radsport ohne Doping ist nur gerecht, wenn wirklich niemand mehr dopt. Mir hat ein Fahrer erzählt, dass es wegen der Trainingskontrollen Deals geben soll zwischen ein paar Mannschaften und dem Weltradsportverband. Da muss man annehmen, dass es kein generelles Umdenken gibt. Das hat mir dieser Fahrer stolz erzählt. Da wusste ich: Nichts hat sich geändert. Am vergangenen Donnerstag konfrontierte der SPIEGEL die Betroffenen mit den Schilderungen Jaksches. Reagiert hat Jaksches erster Profi-Teamleiter Stanga, der ein Fax aus Italien schickte: "Die Behauptungen Jaksches sind völlig gegen meine Prinzipien und meine professionelle Tätigkeit." Ex-Telekom-Teamchef Godefroot streitet ebenfalls alles ab, vor allem jede Warnung, Doping-Mittel zu Rennen mitzunehmen. Er habe lediglich auf die neuen französischen Gesetze hingewiesen, wonach nur Medikamente aus französischen Apotheken, verschrieben von französischen Ärzten, legal seien. Er sei beim Doping "Null-Toleranz". Der Anwalt des Mediziners Markus Choina, einer der mutmaßlichen Helfer des Doping-Arztes Fuentes in Deutschland, wehrt sich mit Nachdruck gegen die Behauptung, sein Mandant habe Doping-Mittel ausgegeben: "Sobald der Verteidigung die Akten vollständig vorliegen, wird er sich zu den Vorwürfen in dem gebotenen Umfang einlassen." Tony Rominger, Manager des Astana-Fahrers Winokurow, sagt am Telefon: "Ich habe niemals jemanden wegen medizinischer Betreuung unter Druck gesetzt und habe auch keinem Klienten zu unerlaubten Mitteln geraten." Der deutsche Radprofi Jens Voigt schreibt, die Aussage über die Versteckaktionen seines Teams während der Skandal-Tour 1998 sei nicht von ihm. Die Fahrer Winokurow und Valverde haben bisher jedes Doping dementiert. Und auch Bjarne Riis, Teamleiter bei CSC, bestreitet alle Verwicklungen in die Doping-Karriere von Jörg Jaksche. Nur eins wollte er bestätigen: den Anruf bei Jaksche vor zwei Wochen, nachdem erstmals Gerüchte über ein mögliches Geständnis im SPIEGEL die Runde machten: "Ja, das ist wahr", schreibt Riis. "Wir haben kurz darüber gesprochen." Jaksches ehemaliger Teamleiter Saiz, der spanische Arzt Fuentes und auch die beiden Freiburger Mediziner Heinrich und Schmid äußerten sich nicht.
Der Spiegel, 02. Juli
2007. Von
Lothar Gorris, Detlef Hacke und Udo Ludwig |