Diplomtrainer und
Sportheilpraktiker -
Doping: "Man vergibt mir nicht"
SZ Magazin/Sport, Heft 27/2008
Interview: Andreas Burkert und Thomas Kistner mit Jörg Jaksche
Foto: Stephanie Fuessenich, Urban Zintel
Morgen
beginnt die Tour de France. Jörg Jaksche war ein Jahr wegen seiner
Doping-Beichte gesperrt, jetzt könnte er eigentlich wieder
mitfahren. Aber im Radsport hassen sie ihn. Weil er die Wahrheit
gesagt hat.
SZ-Magazin: Herr
Jaksche, im vergangenen Sommer gaben Sie zu, als Radprofi zehn Jahre
lang systematisch gedopt zu haben. Sie wurden dank einer
Kronzeugenregelung nur für ein Jahr gesperrt, doch statt nun wieder
Rennen zu fahren, haben Sie Ihre Karriere beendet. Warum?
Jörg Jaksche: Ganz einfach: Ich habe kein Team gefunden. Man will
mich nicht mehr.
Das Kartell des
Schweigens hat gesiegt?
So kann man es sagen. Aber dafür kann ich jetzt als einer der
wenigen aus der Szene aufrecht durchs Leben gehen.
Wann haben Sie
geahnt, dass kein Platz mehr für Sie ist?
Das war am 25. April, damals habe ich vom deutschen Team Milram die
letzte Absage bekommen. Die Rennställe, mit denen ich in Kontakt
war, haben plötzlich ethische Erklärungen der Rennveranstalter von
mir gefordert – das war schon ein Witz, denn niemand sonst hat wohl
solche Erklärungen jemals gebraucht. Sie wollten durch diese
Schreiben, zum Beispiel von der Tour-de-France-Direktion, eine
Rechtssicherheit haben – dabei ist meine Situation rechtlich klar
geregelt: Ich dürfte fahren, überall. Doch die vermeintlich
interessierten Teams haben mich gegen die Wand laufen lassen. Bei
allen Mannschaften waren die Begründungen, warum sie mich nicht
einstellen, abenteuerlich. Ich musste mir sogar anhören, dass man
den maximalen Punkt der Vergebung noch nicht erreicht habe. Man
vergibt mir nicht!
Trotzdem haben
Sie Ende Mai ein allerletztes Mal Kontakt zum Milram-Team
aufgenommen. Masochismus?
Ich bin da nicht als Bittsteller aufgetreten. Ich weiß sehr gut,
dass ich keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz bei denen habe. Aber
ich hatte ja inzwischen diese von Milram geforderte
Unbedenklichkeitserklärung von der Tour de France erhalten, ich habe
dasselbe Papier vom Weltradsportverband bekommen. Ein Dreizeiler,
mit dem Inhalt: Kein Problem, Jaksche darf fahren. Außerdem habe ich
mir sogar ein Gutachten eines Rechtsprofessors besorgt. Alles
vergeblich. Dieses letzte Gespräch mit Milram war das deutlichste.
Danach war mir klar: Schau, dass du deine Kröten zusammenhältst – es
kostet mich einfach zu viel Geld, Transparenz in den Radsport zu
bringen und um die Wahrheit zu kämpfen.
Zwei Jahre
nachdem das Doping-Netzwerk des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes
aufflog, dominieren dessen mutmaßliche Kunden wie Alberto Contador
und Alejandro Valverde die Weltspitze. Will der Radsport die Welt
verarschen?
Einen so krassen Rückfall ins alte Verhaltensmuster hätte auch ich
nicht für möglich gehalten. Der Radsport hat seit 2006, als Fuentes
gefasst wurde, eine große Gelegenheit verpasst, reinen Tisch zu
machen. Man hätte offen über die Vergangenheit reden und sagen
sollen: Wir alle haben gedopt, denn das war früher einfach so – und
jetzt machen wir es anders. Doch es wird weiterhin nur
scheibchenweise gestanden, wenn es halt nicht mehr anders geht. Der
Großteil der Fahrer schweigt und leugnet. So entstand der Eindruck:
Der Jaksche ist ja fast der Einzige, der gedopt hat, ein
Einzeltäter.
Wurden Sie von
anderen Profis beschimpft oder bedroht?
Nein, von den Fahrern nicht. Ich habe nur einige Kommentare und
Anrufe von Managern bekommen, etwa von meinem früheren CSC-Teamchef
Bjarne Riis. Dabei wurde genüsslich das Szenario entworfen, was
passieren würde, wenn ich das Schweigegelübde des Radsports brechen
würde. Es hieß, ich würde nie mehr fahren können – genau das, was
jetzt eingetreten ist.
Hans-Michael
Holczer, Chef des Gerolsteiner-Rennstalls, sagte, ihm reichten Ihre
Aussagen nicht aus.
Wenn Holczer mehr weiß, bitte, die Nummer vom BKA kann ich ihm
geben. Holczer ist seit zehn Jahren dabei, was er macht, ist ein
Schlingerkurs zwischen Anklage und Selbstverteidigung. Bei solchen
Attacken steckt wohl ein anderer Gedanke dahinter: Wie kriegen wir
es hin, dass uns nicht von politischer Seite der Jaksche als
Antidoping-Mann aufs Auge gedrückt wird?
Auch der Chef
des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, sagte, er nehme
Ihnen Ihre Läuterung nicht ab.
Herr Bach und ich, wir kennen uns gar nicht! Ich habe gehofft, dass
er falsch zitiert worden ist, aber er hat das wohl tatsächlich
gesagt – sehr verwunderlich, denn von Deutschlands oberstem
Sportfunktionär erwartet man Unterstützung, wenn man
Doping-Netzwerke offen legt. Stattdessen verbreiten Bach und auch
manche andere den Eindruck, ich hätte nur meinen Hintern retten
wollen. Dabei wollte ich vor allem zeigen, wie man von einem
19-jährigen Abiturienten, der schnell Rad fahren kann, aber von
Tuten und Blasen keine Ahnung hat, zum 30-jährigen Profi wird, der
sich von Doktor Fuentes fünf Liter Blut abnehmen lässt.
Bei Fuentes
wurden Hunderte Blutbeutel, Namenslisten, tonnenweise Medikamente
gefunden. Trotzdem ist der Skandal inzwischen versandet. Sind die
Sportmedien mitschuldig am Betrug?
Die meisten Journalisten glauben, sie säßen im selben Boot wie die
Athleten. Wenn da einer eine Latte rausreißt, ist das für beide der
Untergang. Man kann es vergleichen mit China und Tibet. Man hätte
seit zehn Jahren wissen können, dass dort Aufständische unterdrückt
werden, aber erst vor Peking ist es dann ein Thema. Genauso war es
auch mit dem Fuentes-Skandal. Jan Ullrich steckte drin, plötzlich
wird der ganze Radsport in Frage gestellt – ein System, das all die
Jahre davor schon genauso bestand, in dem sich viele Medien aber
recht komfortabel gefühlt haben.
Begann deshalb
die Jagd auf Jan Ullrich erst, als er nicht mehr zu retten war, weil
Beutel mit seinem Blut bei Fuentes gefunden wurden?
Ullrich ist für mich das typische Opfer, die Sau, die durchs Dorf
getrieben wird. In einem Land, wo Doping aus staatlicher Sicht
früher in Ordnung war, wo eine renommierte Hochschule, die Uni
Freiburg, den Fahrern die leistungssteigernden Mittel verabreichte.
Jetzt plötzlich wollen Leute, die das lange in Ordnung fanden, mit
aller Staatsgewalt dazwischenhauen. Das funktioniert nicht.
Innenminister
Schäuble hat vor 31 Jahren im Bundestag für Doping unter ärztlicher
Aufsicht plädiert, wohl um die Erfolgsquote des westdeutschen Sports
im Vergleich zur DDR zu erhöhen. Wussten Sie das?
Davon habe ich gehört, ja. Nur waren die in der DDR die besseren
Deutschen, weil sie alles aufschrieben; so konnte man nach der Wende
das Doping-System der DDR aufarbeiten. Im Westen lief das unter der
Hand. Und jetzt, nachdem man die Sache 30 Jahre hat wuchern lassen,
sagt man plötzlich, oh, wir haben ein Riesenproblem. Dabei geht
alles weit über die Fälle Ullrich oder Telekom hinaus, die
Strukturen des deutschen Leistungssports sind ein Problem. Schon
weil wir keine Gesetzesgrundlage haben, sprich: weil Doping bei uns
nicht strafbar ist.
Hätten Sie sich
von einem Strafgesetz abschrecken lassen?
Ja. Als Fahrer war mir immer klar, zwei Jahre Sperre wären schlimm.
Aber Knast? Hätte es eine strafrechtliche Bedrohung gegeben, wären
die Entscheidungen pro Doping nicht nur von mir anders getroffen
worden. Alles wäre schwieriger gewesen, besonders die Beschaffung.
Bis heute bekommt man doch Dopingmittel wie Epo und Testosteron über
einen Arzt oder Apotheker in Spanien.
In Deutschland
wollte der Radverband Andreas Klöden ursprünglich für Peking
nominieren, Sportdirektor Burckhard Bremer behauptete lange, über
Klöden sei nichts Negatives bekannt. Sprach aber die Tatsache der
langjährigen Zugehörigkeit zu den Teams Telekom und T-Mobile nicht
ohnehin eher dafür, dass Klöden als mutmaßlicher Teilnehmer des
Freiburger Dopingsystems zu gelten hat, auch wenn er weiterhin jedes
Doping leugnet?
Jeder weiß doch inzwischen, was beim T-Mobile-Team ablief. Vor einer
Reinwaschung Klödens sollte man deshalb die Ergebnisse aus Freiburg
abwarten und schauen, wie sich Klöden als Zeuge vor der Justiz
verhalten würde. Falls die Freiburger Uni-Ärzte angeklagt werden,
müsste er ja dort erscheinen. Aber dem BDR geht es wohl vor allem um
Geld: Wie kriegen wir Medaillen – und Fördergelder? Es geht nicht
darum, ob du sauberen Sport machst, sondern ob du erfolgreich bist.
Die Funktionäre
schwärmen immer von ihrer Waffe, den Dopingtests. 4500 soll es laut
IOC in Peking geben.
Ich hatte in zehn Jahren als Profi rund 120 Kontrollen. Aber im
Großen und Ganzen hatte ich keine Angst davor. Meine Ärzte waren
immer gut informiert, die haben mir gesagt, welcher Stoff wie lange
nachweisbar ist.
Wozu taugen die
Tests dann? Als Alibi?
Der australische Hämatologe Robin Parisotto, der Tyler Hamilton
überführt hat, erzählte mir mal, wie weit sie eigentlich schon sind,
wie lange sie Epo mit ihren Tests nachweisen könnten: mehr als 80
Tage! Aber das IOC habe dieses Verfahren einfach nicht akzeptiert.
Es wäre wohl ein Riesenproblem, wenn plötzlich in gewissen
Sportarten scharf getestet würde.
Welche
Disziplinen meinen Sie? Wenn zum Beispiel im 100-Meter-Lauf…
…wo gerade ein neuer Fabelweltrekord gelaufen wurde… …auf
Wachstumshormone getestet würde! Wann immer ein neuer Test
publiziert wird, kann man sicher sein, dass schon seit einem Jahr
ein noch neueres Produkt auf dem Markt ist. Die Kontrolleure hinken
hinterher.
Medien,
Funktionäre, Verbände, Kontrolleure – als dopender Athlet wurden Sie
offenbar von einem unsichtbaren System geschützt.
Klar. Mir hat zum Beispiel ein Funktionär von einem Fall erzählt, da
habe ein positiv getesteter Athlet einen Anruf erhalten, er müsse
nur soundsoviel zahlen und seine B-Probe sei negativ. Ich glaube,
dass Doping und Dopingbekämpfung teilweise Hand in Hand gehen. Beim
Sportärzte-Meeting eines Weltverbandes verwischen doch die Grenzen
zwischen Doping-Gegnern und -Befürwortern. Das ist eine große
Informationsbörse. Information kann ja auch als Warnung
rübergebracht werden: »Sagt euren Fahrern, sie sollen das nicht mehr
nehmen, man kann es jetzt finden.«
Gibt es einen
Austausch über Dopingpraktiken zwischen den Sportarten?
Ja, zum Beispiel mit dem Wintersport, wo wir schon an dem Punkt
sind, dass die Fans für dumm verkauft werden. Denken Sie nur an den
Skandal bei den Winterspielen in Turin, als die Polizei bei den
österreichischen Langläufern und Biathleten das gesamte Zubehör für
Eigenblut-Doping fand – identisches Know-how wie bei uns. Und dass
es in Wien jahrelang eine Blutdoping-Stätte für Wintersportler und
andere gab, war in der Radszene lange bekannt, bevor es diesen
Winter publik wurde.
Der Sport hat
solche Affären nie selbst aufgedeckt, die Arbeit machen Polizei,
Zoll oder Steuerfahndung. Wer also auf dem Niveau von Fuentes dopt,
fliegt bei Kontrollen nicht auf?
Nein. Nicht in Peking und auch nicht bei der Tour? Nein, heute so
wenig wie früher.
Freuen Sie sich
trotzdem auf die Tour de France?
Ich werde die Tour zwar fürs ZDF als Doping-Experte begleiten,
schaue privat aber kaum noch Radsport, denn ich denke schnell, gut,
dieser oder jener müsste eigentlich neben mir auf der Couch sitzen.
Da wäre ein
ziemliches Gedränge. Doktor Fuentes hat schließlich über 50
Radprofis versorgt.
Noch mehr. Das Ausmaß wurde mir erst klar, als ich im Mai 2006 mit
der Planung für die Tour begann. Fuentes besaß damals schon das
Programmheft der Tour, das offiziell erst sechs Wochen später
erhältlich gewesen wäre. Vorn ist die Frankreichkarte mit den
Etappen drin. Fuentes hat vor meinen Augen das Heft aufgeblättert.
Du hast Frankreich und den Atlantik gar nicht mehr gesehen, weil
überall Pfeile und Nummern waren: all die Orte, wo Doping für seine
ganzen Kunden geplant war! Das war fünf Tage, bevor Fuentes gefasst
wurde. Seither wundert mich nur, wie wenig am Ende bei der Affäre
herauskam. Wo man doch heute weiß, dass ihn mehrere Athleten genau
an dem Tag kontaktierten, an dem auch ich bei ihm war, im gleichen
Hotel. Da frage ich mich: Warum stand nur mein Name in der Zeitung?
Das alte System
hat gegen Sie eine Königsetappe gewonnen, denn die
Kronzeugenregelung ist beschädigt. Würden Sie noch einmal aussagen?
Schwierig. Einerseits kann ich jetzt locker durch die Welt gehen und
offen mit Ihnen reden. Auf der anderen Seite habe ich eine Strafe
bekommen, die einfach von einem Jahr auf lebenslang verlängert
wurde. Denn die Wagenburg hat sich wieder geschlossen. Dabei
bräuchte es Leute, die frisches Blut reinbringen. Aber das darfst du
ja im Radsport gar nicht mehr sagen.
HINTERGRUND
Sein Leben
Jörg Jaksche, 31,
zählte ein Jahrzehnt lang zu den weltbesten Radprofis. Sechs Mal
startete er bei der Tour de France, 2004 gewann er Paris–Nizza. Im
Juni 2007 gestand er angesichts erdrückender Beweise, dem
Fuentes-Netzwerk angehört und bei seinen Teams systematisch gedopt
zu haben. Er kooperierte mit der Justiz und gab sein Wissen preis –
ein Novum. Jaksche trainiert weiterhin, im Herbst will er ein
Fernstudium in Wirtschaftsrecht beginnen.
Der
Fuentes-Skandal
Der spanische
Gynäkologe Eufemiano Fuentes war Teamarzt des Liberty-Rennstalls,
als die Polizei im Mai 2006 bei einer Razzia gut 200 Blutbeutel,
Dopingmittel sowie Listen mit Codenamen zahlreicher Radprofis fand.
Einige waren so leicht zu enttarnen, dass sie noch vor der Tour de
France suspendiert wurden, darunter die Favoriten Jan Ullrich und
Ivan Basso. Nur die Italiener Basso und Michele Scarponi sowie Jörg
Jaksche gestanden letztlich, Klienten von Fuentes gewesen zu sein.
Jaksche stand unter
»J.J.« in der Liste, gleich neben »A.C.« – dem mutmaßlichen Kürzel
des Tour-Siegers von 2007, Alberto Contador. Letzterer streitet den
Betrug ab, wie auch Ullrich, dem aber per DNA-Test einige Blutbeutel
zugeordnet werden konnten. Dass Spaniens Justiz die Ermittlungen
abrupt einstellte, liegt offenkundig daran, dass zu Fuentes’ Kunden
auch namhafte Athleten aus Leichtathletik, Tennis und Fußball
zählten.
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