Diplomtrainer und Sportheilpraktiker:
"Neue Dopingfälle im Radsport - weiter so!"

Findet im Radsport nach den neuen Dopingenthüllungen ein Umdenken statt? Albern! Alte Kräfte bereiten gerade ein willkommenes Comeback vor.

Wenigstens eines ist eingedenk dieses Vernichtungsschlags gegen den nationalen Radsport nicht mehr zu hören: Dass jetzt, aber hallo!, endgültig so richtig aufgeräumt, saubergemacht, ausgefegt oder sonstwas wird im Pharmasaustall. Zu geschockt sind die Funktionäre und Verbände.

Aber nein, nicht wegen der neuen Affäre, sondern weil wieder was ruchbar wurde. Die Funktionäre müssen sich nun neu sortieren. Es wird auch für sie nicht leichter, den Schlingerkurs zwischen öffentlicher Moralpredigt und interner Betrugsverschleierung fortzusetzen. Wie das halt sein muss in einem Sport, der seine Akteure systematisch zum Dopen zwingt.

Ein Umdenken? Alberner, weil völlig realitätsferner Gedanke. Das findet jetzt so wenig statt wie anlässlich der zahlreichen Fälle zuvor. Geht auch gar nicht, es setzt ja grundlegende personelle Umbesetzungen an der Spitze von Teams und Verbänden voraus. Insofern ist die erste öffentliche Empörung der Funktionäre wieder herrlich entlarvend.

Wenn etwa der deutsche Sportchef und IOC-Vize Thomas Bach nun Schumacher "Dummdreistigkeit" attestiert, belegt dies nur, dass die Kaste der Sportverantwortlichen kein Jota von ihrem Kurs abweicht. Denn dumm ist heute nur derjenige, der noch glaubt, Doping im Radsport sei kein Systemzwang. Und dreist, wer so eine Mär - als Funktionär und damit wider besseren Szenewissens - verbreitet. Denn einen Einzeltäter Schumacher - das ist es, was das Betrugssystem jetzt braucht. Keine Sorge, liebes Publikum, den einen Sünder schnappen wir - und der Rest ist sauber. Großes Sportlerehrenwort!

Weitere Fälle sind in der Pipeline. Und auch Bachs IOC wird, sofern es glaubwürdig bleiben will, die neue Cera-Analytik auf seine gespeicherten Peking-Proben anwenden müssen. Schließlich werden die genau für solche Fälle aufbewahrt. Flott zur Hand ist der deutsche Sportchef gleich wieder mit all den rituellen, fruchtlosen Drohungen: Olympische Denkpause für den Radsport! Wer soll diese verordnen? Das IOC, in dem der ehemalige Weltverbandschef Hein Verbruggen bestens verdrahtet ist?

Der schickt sich soeben hinter den Kulissen an, den Radsport wieder an sich zu reißen. Pikante Kontakte mit der Tour-Veranstalterin Amaury werden geschmiedet, die sich, nach einer kurzen Phase der Antidopingpolitik - auf einen strikt rückwärtsgewandten Kurs besonnen hat; abzulesen auch am personellen Revirement an der Spitze der Tour-Organisation sowie der Sporttageszeitung L'Equipe, die ebenfalls zum Konglomerat gehört.

Verbruggen ante portas, sein alter Sportsfreund Lance Armstrong sowieso - ein Doppel, das man sich nun bereits als Tandem bei den Tourveranstaltungen der Zukunft vorstellen darf. Nicht vorstellbar ist aber, dass dann länger Gebührengelder verschleudert werden für eine als Journalismus deklarierte Übertragung der Mogelshow. Besser, man investiert das Geld in die Öffnung der sechs positiven Epo-Proben Armstrongs, an denen bisher niemand im Sport richtig Anstoß nehmen wollte.

Der aktuellste Dopingsünder der Tour 2008 kommt aus Deutschland und heißt Stefan Schumacher. Der Nürtinger war nach zwei Etappensiegen zwischenzweitlich sogar in Gelb unterwegs. Bei der Dopingkontrolle konnte ihm damals kein Vergehen nachgewiesen werden - und das obwohl er bereits mehrmals auffällig gewesen war. Mit neuen Testmethoden wurde er jetzt aber zumindest in der A-Probe überführt. Schumacher bestreitet, gedopt zu haben.

Süddeutsche.de, 07.10.2008
Thomas Kistner