Diplomtrainer und Sportheilpraktiker - Doping: Der Radsport und Epo

 

Rolf Järmann: „Ohne Dopingkontrollen gäbe es tote Sportler“ und: "Doping war Teil des Wettbewerbs"

 

28. August 2005
Der ehemalige Schweizer Profi Rolf Järmann spricht im Interview mit der Sonntagszeitung über seine Erfahrungen mit Epo-Doping und dessen Verbreitung in der Radszene. Er ist überzeugt, „Lance Armstrong ist nicht besser oder nicht schlimmer als alle anderen“.

 

Sie haben vor fast genau fünf Jahren in einem Zeitungsartikel, zunächst anonym, über Ihre Erfahrungen mit Epo-Doping berichtet. Würden Sie es als gerecht empfinden, wenn man Ihnen aufgrund dessen einige Ihrer Siege aberkennen würde?

Das können sie nicht, weil ich nie gesagt habe, wann ich gedopt war und ich in keiner Kontrolle je positiv war.

 

Hatten Sie das Gefühl, Konkurrenten oder das Publikum zu betrügen?

Nein, eigentlich nicht. Vor der Tour 1998 war es ziemlich verbreitet. Ich hatte das Gefühl, meine Konkurrenten nehmen das gleiche.

 

Wie empfinden Sie den neuesten Fall Armstrong: Sollte man ihn bestrafen, oder muß man ihm seine Siege und Triumphe lassen?

Ich glaube, 1999 war eine andere Zeit. Epo konnte nicht nachgewiesen werden. Ich bin überzeugt, er ist nicht besser oder nicht schlimmer als alle anderen auch.

 

Heißt das, daß es Teil des Wettbewerbs ist, sich einen Vorsprung durch Doping und andere Manipulationen zu verschaffen?

Das war zumindest Teil des Wettbewerbes, als ich noch dabei war.

 

Armstrong unterscheidet sich nicht nur dadurch von anderen Radprofis, daß er als einziger sieben Mal die Tour de France gewonnen hat, sondern auch durch seine offensive Art. Wie stehen Sie dazu, daß er herausfordernd sagt: Ich bin clean, und wer es mir nicht glaubt, soll mir das Gegenteil beweisen!

Da bin ich sehr skeptisch. Ich würde an seiner Stelle keinen Kommentar abgeben. Das Problem ist nicht das Doping. Aber die Zuschauer fühlen sich verarscht, wenn man sie belügt. Darum ist es besser, manchmal nichts zu sagen.

 

Sind Sie mit Armstrong Rennen gefahren?

Bis 1998 und 1999, als ich Schluß gemacht habe. Ich würde sagen, daß ich ihn kenne. Er ist ehrgeizig und sehr zielstrebig.

 

Ist er ein Betrüger?

Ich glaube, daß zu der Zeit, in der ich gefahren bin, Epo weit verbreitet war. Darum hatten alle die gleichen Chancen. Am Schluß hat der gewonnen, der am meisten trainiert hat und der das Rennen cleverer gefahren ist als die anderen.

 

Wie stehen Sie heute zu Epo?

Es ist verboten. Aber ich denke nicht, daß es das größte Problem der Welt ist. Epo war eigentlich ein ungefährliches Medikament, das leicht zu handhaben war.

 

„Das Schuldgefühl war etwa gleich groß wie bei einer Fahrt mit 130 Stundenkilometern auf der Autobahn“, haben Sie damals geschrieben.

Es wurde nicht kontrolliert, und man hatte das Gefühl, es nimmt jeder. Das Schuldgefühl wurde erst wieder bei der Tour de France 1998 geweckt, als die Polizei eingegriffen hat. Ich bin diese Tour nicht mitgefahren. Aber danach habe ich nichts mehr angerührt.

 

Muß man dem Welt-Radsportverband UCI in der Bekämpfung von Doping Versäumnisse vorwerfen?

Das Problem ist nicht die UCI. Der Leichtathletik-Verband und der Schwimmverband können das Dopingproblem gar nicht angehen, weil sie dann keine Weltrekorde mehr hätten und durch das auch keine Zuschauer. Im Radsport macht es keinen Unterschied, ob ein Rennfahrer 35 oder 40 Stundenkilometer fährt.

 

Wenn die Geschwindigkeit im Radsport niemanden interessiert, warum wird die Tour jedes Jahr schneller?

Die Etappen werden immer kürzer. Das Fernsehen überträgt immer mehr live. Das hat zur Folge, daß jeder an der Spitze des Feldes fahren will. Mit Doping hat die Durchschnittsgeschwindigkeit überhaupt nichts zu tun.

 

Armstrong hat den Radsport und sich selbst zur Glaubenssache erklärt. Glauben Sie an das Wunder Armstrong?

Ich glaube, daß Armstrong ein absolutes Ausnahmetalent ist; daß er einen extremen Siegeswillen hat und viel mehr Professionalität als die meisten anderen. Im ganzen Rest ist er eigentlich genau gleich. Er war vor allem im Kopf überlegen. Er war aber nie so überlegen, wie er sich darstellen konnte. Er hat immer erst auf den letzten drei, vier Kilometern einer Bergankunft angegriffen und nicht viel Vorsprung herausgeholt. Er hat in der Regel das erste Zeitfahren und die erste Bergankunft gewonnen und damit alle Gegner schockiert.

 

Er hat geblufft?

Alle haben sich bluffen lassen, vor allem Ullrich.

 

Was würde passieren, wenn es keine Dopingkontrollen gäbe?

Dann gäbe es tote Sportler.

 

Sie haben, am eigenen Leib, miterlebt, wie in den neunziger Jahren Epo sich im Radsport verbreitete. Ist das eine Seuche?

Es wäre eine Bedrohung geworden, wenn wir Radsportler nicht freiwillig Bluttests zugelassen hätten. Dank der Tests konnte man das eindämmen und es ist auch nicht gefährlich für die Sportler. Wir waren durch die Blutkontrollen am besten geschützt. Wahrscheinlich hatten wir dadurch auch die meisten Skandale.

 

Haben Sie Dopingopfer erlebt, Rennfahrer, die sich kaputt gedopt haben?

Körperliche Auswirkungen kenne ich keine. Ich habe das mit Alex Zülle hautnah miterlebt, wie die Polizei und die Medien mit ihm umgegangen sind. Das war schrecklich.

 

Man spricht von mehr als einem Dutzend Todesopfer durch Epo im Radsport. Glauben Sie das nicht?

Das muß am Anfang gewesen sein und nicht im Profisport. Durch die Blutkontrollen wussten wir, wann es gefährlich wird. Ich bin überzeugt, daß im Amateursport und in anderen Sportarten die Gefahr sehr groß war, zu viel zu nehmen und irgendwann einen Herzstillstand zu erleiden.

 

Sehen Sie Radrennen heute noch vor dem Hintergrund von Doping?

Nein. Ich denke nicht, daß ein paar Rennfahrer sauber und ein paar nicht sauber sind, sondern es sind meistens alle ein bißchen unsauber oder ein bißchen sauber. Darum gewinnt schlussendlich immer der, der am meisten trainiert und am cleversten fährt.

 

Ist Epo heute noch verbreitet?

Keine Ahnung. Epo wird doch gefunden bei Kontrollen. Es wäre von einem Sportler sehr dumm, wenn er sich heute damit dopen würde.

 

Sie haben beschrieben, wie nach der Skandal-Tour 1998 alle praktisch bei Null angefangen haben und wie dann doch wieder einzelne herausstachen mit ihrem Leistungsvermögen. Was glauben Sie: Wie viele haben bei der Tour 1999 wieder Epo eingesetzt?

Ich weiß es nicht. Nach der Tour 1998 wurde darüber nicht mehr gesprochen. Man hatte keine Ahnung, im Gegensatz zu vorher, was andere Fahrer machen und was nicht.

 

Was halten Sie von dem Etikett „Tour der Erneuerung“?

Das war reines Wunschdenken von den Organisatoren, den Radsport wieder in ein gutes Licht zu rücken. Klar, der Kampf gegen das Doping wird jetzt viel konsequenter angegangen.

 

Was bewirkt Epo?

Es macht extrem viel schneller. Die Leistungssteigerung ist enorm.

 

Wie setzt man es optimal ein?

Praktisch nur im Training. Der Effekt hält etwa vier Wochen. Für eine dreiwöchige Rundfahrt wie die Tour de France spritzt man es einen Monat lang vorher. Man kann mehr trainieren und die roten Blutkörperchen wachsen in dieser Zeit. Sie halten etwa einen Monat.

 

Die Zeitung „L'Equipe“ hat anhand der entschlüsselten Proben von Armstrong nachzuweisen versucht, daß er 1999 vor dem Prolog, den er gewann, vor der ersten Alpenetappe, auf der er angriff, und vor den Pyrenäen, die er ruhig überquerte, jeweils Epo gespritzt habe. Das wäre demnach Unsinn gewesen.

Wenn man während der Tour spritzt, kann man das Level länger halten. Aber es wäre nicht absolut notwendig. Für mich ist dieser ganze Fall nicht wirklich ohne Zweifel.

 

Dann wäre ja der Festina-Skandal erst recht zweifelhaft: Warum hätte Willy Voet Epo zum Tour-Start nach Irland karren sollen, wenn man es gar nicht braucht?

Es gibt immer Leute, die alles übertreiben, und das sind dann die, die erwischt werden.

 

Sie haben gesagt, sie bereuten manchmal, nicht skrupellos genug gewesen zu sein und nicht viel mehr Geld verdient zu haben. Haben Sie damit gemeint, mehr zu dopen?

Ich hätte viel mehr dopen können und wäre dann auch viel besser gewesen. Aber ich bin froh, daß ich es nicht gemacht habe.

 

Die Erkenntnis, daß Epo im Radsport auch 1999 verbreitet war, der Verdacht, daß Epo immer noch verbreitet sein könnte, der Nachweis, daß zumindest einer der sieben Toursiege von Armstrong mit Epo zustande gekommen ist, schmälert das alles nicht die Leistung von Radprofis bei der Tour de France?

Ich glaube nicht. Epo ist kein Mittel, das Training ersetzt oder Schmerzen unterdrückt. Im Gegenteil: Man muß mehr trainieren, um etwas davon zu haben. Vielleicht fährt man mit Epo zwei Stundenkilometer schneller und ist fünf Minuten eher im Ziel. Aber das hat auf das Leiden keinen Einfluß.

 

 

Das Gespräch führte Michael Reinsch.

 

 

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28.08.2005, Nr. 34 / S. 20