Diplomtrainer und Sportheilpraktiker: "Die Mär vom Fettstoffwechsel, dem Langzeitausdauertraining und dem bösen Hungerast"

 

Nach einer angemessenen Pause (Übergangsperiode), aktiv gestaltet mit leichten sportlichen Betätigungen anderer Art, beginnt in unseren Breiten normalerweise Anfang bis Mitte November die erste, allgemein vorbereitende Phase der Vorbereitungsperiode auf die neue Saison. 

Das grobe Wochenplanschema in der Nachwuchstruppe des TSV Unterhaching für die VP1 beinhaltet 2 Krafttrainingseinheiten (Gesamtkörperprogramm), 1 TE Spinning und schließendlich 2 lange Ausfahrten auf dem Rad am Wochenende (bei ungünstiger Witterung Ausweichsportarten, z.B. Skilanglauf). Um diese letztgenannte Trainingsform dreht es sich in dieser kurzen Abhandlung: das Training der Langzeitausdauer.

Die Basis allen sportlichen Tuns im Radsport, gleich welche Disziplin, ist eine gut trainierte Grundlagenausdauer. Sie ökonomisiert und stabilisiert die Stoffwechselvorgänge beim sportlichen Training und bereitet große Leistungen vor. Durch die stete Wiederholung der Technik (hier: Trittechnik, "Pedalieren mit souplesse") bildet sich ein energiesparender autonomer Bewegungsstereotyp auf Rückenmarksebene, der jederzeit automatisch abgerufen werden kann. Dieser Trainingsbestandteil nimmt oftmals um die 80% und mehr am Gesamtvolumen des Trainings im Radsport ein. 

Morphologische Anpassungserscheinungen sind neben den gerade angesprochenen Muskelinnervationsmechanismen u.a. eine verbesserte Kapillarisierung der Muskulatur, eine höhere Herzleistung durch Hypertrophie und Dilatation des Herzmuskels sowie der ökonomisierten Erregungsleitung (Abnahme der Herzfrequenz in Ruhe und bei Belastung), eine gesteigerte Lungenfunktion, verbesserte Enzymfunktionen im Bereich des aeroben Stoffwechsels, kurz: 

Es werden alle Parameter verbessert, die in Ihrer Summe das sogenannte Bruttokriterium der Ausdauer, die relative maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit VO2-max bilden. Ein wichtiger Faktor dabei ist die verbesserte Utilisation von freien Fettsäuren, die sogenannte Fettverbrennung oder sportwissenschaftlich auch Beta-Oxydation genannt. 

Der Körper hat verschiedene Stoffwechselwege, um das für die Muskelkontraktion notwendige Bio-Molekül ATP (Adenosintriphosphat) zu bilden und zu resynthetisieren. Für ganz kurzfristige sportliche Leistungen von 1-3 sek. (z.B. Wurf/Stoß) reicht der Vorrat an ATP. Etwas längere max. Belastungen von 6-8 sek. (z.B. 60 m - Sprint in der Halle, ca. 6 max. Wiederholungen im Krafttraining !!!!) rekrutieren sich aus dem KrP-Stoffwechsel (Kreatinphosphat). Beide Wege sind alaktazid, also ohne Bildung von Milchsäure und für den Straßenfahrer eher weniger von Bedeutung. 

Wird die maximale Leistung länger aufrecht erhalten, kommt die anaerobe Glykolyse ins Spiel. Dies ist die Verbrennung von Zuckerspeichermolekülen (Glykogene aus Muskel, Leber, Blut) ohne Sauerstoff. Dabei entsteht Laktat (Milchsäure), die in zunehmender Konzentration im Blut schließlich jede weitere Kontraktion unmöglich macht und zum Arbeitsabbruch zwingt. Klassisches Beispiel ist der 400m-Lauf, da der Höhepunkt der anaeroben Glykolyse bei ca. 45sek liegt. Aber auch rennentscheidende hochintensive Phasen beim Straßenrennen, wie z.B. Antritt am Berg, Zwischenspurts oder Endspurt, fallen in diese Charge. 

Wird die Disziplin noch länger, wird der Zucker mit Hilfe von Sauerstoff verbrannt (aerobe Glykolyse, ohne Laktatbildung). Dies ist im Radsport z.B. bei längeren Zeitfahren oder bei schnellen Kriterien von Bedeutung. Ein sehr gut trainierter Athlet kann auf diese Weise maximal bis zu 90min seine Leistung sehr hoch halten, danach "bricht" er ein, bekommt "Hungerast", die populäre Bezeichnung für den Zustand der Hypoglykämie (Unterzucker). Der Athlet hat jetzt keine "Körner" mehr (Zuckerspeicherformen), muß dringend von extern Kohlenhydrate zuführen und kann seine Leistung max. auf einem (niedrigeren) Niveau aufrechterhalten, das einzig und allein von der Fettverbrennung gespeist wird. 

Selbst hochtrainierte Athleten mit einem einstelligen prozentualen Gesamtkörperfettgehalt können aus ihren Fettreserven (Unterhautfettgewebe, Muskel) beinahe unbegrenzt Energie produzieren. Dies geschieht durch die Beta-Oxydation von freien Fettsäuren nur unter Zuhilfenahme von Sauerstoff. 

Was bedeutet dies nun für die sportliche Praxis im Radrennsport? Meist werden durch den Körper Stoffwechselmischwege beschritten. Je höher die Intensität, desto mehr wird der Pool der nächstintensiveren ATP-Resynthetisierungsform beschritten. So muß ein schlecht grundlagenausdauertrainierter Radsportler bei einem gewissen Tempo in Training oder Wettkampf schon mehr von den limitierten Zuckermolekülen einsetzen (bei auch höherem Puls!) als ein besser trainierter, der bei gleichem Tempo rein auf die Fettsäurenutilisation zurückgreifen kann. Kommt es nun zu rennentscheidenden Phasen, kann der Bessere noch "übersäuern" und eine hohe Intensität durchziehen, der Schlechtere ist leer und kann nicht mehr mitgehen. Oder im Training: der Bessere verbraucht auch nach Stunden nur Fettsäuren, der Schlechtere verbraucht von Beginn an zusätzlich Zucker und ist dann "leer", bekommt einen Hungerast. 

Grundsätzlich ist durch spezielle Trainingsformen jeder Stoffwechselweg trainierbar, es lassen sich die zeitlichen Schwellen hinausschieben. So muß es das Bestreben des Radsportlers sein, in einem möglichst hohen Pulsbereich noch auf Fett fahren und "Körner" sparen zu können. Deshalb wird entsprechend viel im Grundlagenausdauerbereich (G1/2) trainiert, dabei wird zusätzlich als positiver Nebeneffekt auch noch der Fettanteil des Körpers (Gewichtsabnahme) reduziert. Dieses Training bildet die Basis einer Intensitätspyramide, auf der im Verlaufe des sportlichen Jahrestrainings intensivere Trainingsformen oben aufgesetzt werden. 

Diese vielleicht manchmal monoton anmutende Fleißarbeit, bei der auch noch nach vielen Trainingsjahren Verbesserungen erreicht werden, sollte im Winterhalbjahr vor der Saison abgeleistet werden. In der Saison werden intensivere Trainingsformen angewandt (wettkampfspezifische Distanzausschnitte und Inhalte), für die Winterhausaufgaben ist keine Zeit mehr vorhanden. Stabile, langfristige sportliche Formhochphasen sind ohne diese Basis für Faulpelze nicht mehr erreichbar, maximal ist noch eine kurzfristige "Seifenblasenform" auf nicht sehr hohem Niveau machbar. 

Was kann man nun außer Training noch gegen die hypoglykämischen Zustände ("Hungerast") tun? Dies wird Gegenstand eines weiteren Artikels sein. 

© Thomas Hartmann, Dipl.-Trainer, November 2002